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An Paris hat niemand gedacht

An Paris hat niemand gedacht

Titel: An Paris hat niemand gedacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Peters
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abgeknickt, während der Fallwind an ihren Kleidern reißt. Der Kreis bricht auf, wird zur Kette, zerfällt in lauter sich voneinander entfernende Einzelteile, die ungebremst in die Tiefe stürzen. In den Himmel gestreut. Der Gedanke gefällt ihr. Das Hinauszögern des Moments, an dem die Leine gezogen wird, die den Schirm öffnet, die Versuchung, den freien Fall im Nichts enden zu lassen: wie fühlt sich das an? Das Weizenkorn muss sterben, denkt Marta und dass sie vermutlich langsam den Verstand verliert.
    Einer ihrer Stammgäste hatte kürzlich von dem Tandemsprung erzählt, den er im Urlaub gemacht habe, das könne man auch als Tourist ohne Vorkenntnisse buchen: Man wird mit einem Profispringer zusammengeschnallt, wirft sich im Doppelpack aus dem Flugzeug und erlebt Unglaubliches.
    »Zu hoch, zu eng, zu nah, zu fremdbestimmt«, hatte sie damals zu Valentin gesagt, als er ihr vorschlug, es selbst auszuprobieren. »Wenn schon vom Himmel fallen, dann solo.«

    Der dicke Asiate schiebt ihr die Zigaretten zu, hält seine Hand auf, ohne seinen Blick vom stummen Geschehen auf dem Bildschirm zu wenden.
    »Ich zahle morgen, ja?«
    Die Hand fährt zurück, greift nach einer herumliegenden Kugelschreibermiene und macht zwei undefinierbare Zeichen auf den Zettel neben der Kasse. Ein Brummen signalisiert etwas, das Marta bereit ist, für Zustimmung zu halten.
    Der Saab steht noch immer dort, wo Paul ihn gestern Abend nach ihrer Rückkehr aus dem Krankenhaus abgestellt hat. Eingeschränktes Halteverbot; normalerweise hätte er das Auto binnen zehn Minuten umgeparkt oder ihn gar nicht erst dort hingestellt. Mühsam steckt Marta mit der linken Hand den Schlüssel ins Zündschloss und scheitert kläglich bei dem Versuch, den Wagen anzulassen. Fluchend zerrt sie am Verband, hält sich die Wunde, lässt ihre Stirn auf das kühle Leder des Lenkrads sinken. »Scheiße!«
    Es müssen die Medikamente oder die Schmerzen oder beides sein, jedenfalls ist Marta sich sicher, dass sie ansonsten nie geheult hätte, grundsätzlich!
    Wie lange sie so dasitzt, zusammengerollt hinter dem Steuer, zehn Minuten, eine Stunde, sie weiß es nicht.
    Die Beifahrertür öffnet sich, und Paul nimmt auf dem Sitz neben ihr Platz, fährt sacht mit der Hand ihren Rücken herunter.
    »Sollen wir ein bisschen herumfahren?«
    Marta schüttelt den Kopf.
    »Willst du allein sein?«
    »Nein.«
    Sie lässt sich an seine Schulter sinken, wischt Tränen und Rotz mit dem Ärmel weg und versucht mit den Zähnen eine Zigarette aus der Packung zu ziehen. Paul reicht ihr Feuer. Mit
dem Daumennagel beginnt er das »No Smoking Please« abzukratzen, das er, noch bevor sie den Wagen vom Parkplatz des Autohändlers fuhren, extra für sie neben das Armaturenbrett geklebt hatte.
    Durch die Windschutzscheibe beobachten sie einen Mann, der eine Kiste Bier auf dem Gepäckträger seines klapprigen Fahrrads zu transportieren versucht. Der Kasten rutscht immer wieder nach einer Seite hin ab und bringt das gesamte Gespann gefährlich ins Wanken.
    »Wetten, der schafft’s nicht bis nach Hause, der versoffene Vollidiot?«
    Paul lacht leise, reicht Marta ein Taschentuch aus dem Handschuhfach. Das Wageninnere füllt sich mit Rauch.
    Schweigen können, gemeinsam, denkt Marta, man möchte alt werden mit einem, bei dem das möglich ist. Vielleicht ist das der Grund, warum ich immer noch da bin, weil mit ihm die Stille erträglicher wird, manchmal sogar schön.
    Seinem Atem zuhören, den eigenen in den gleichen Rhythmus bringen. Sie schließt die Augen, will schlafen, hier und jetzt.
    »Marta, sollen wir wieder raufgehen?«
    »Einen Moment noch.«
    »Hör zu: ich werde dich nicht mehr auf deine Familie ansprechen. Du kannst mir davon erzählen, wenn du willst, und du kannst darüber schweigen, wenn du willst. Das ist deine Entscheidung. Mich interessiert allein, ob es dir gut geht, kapiert? Und noch etwas: frag mich nie wieder, auf wessen Seite ich stehe!«
    »Paul, ich …« Bremsen quietschen, eine Frau steht wie schockgefroren auf der Straße im Scheinwerferlicht eines Kleinwagens, der wenige Zentimeter vor ihr zum Stehen gekommen ist. Der Fahrer lehnt sich aus dem Fenster, ruft der Frau etwas zu, hinter ihm hupt es. Die Frau presst ihre Handtasche an sich, bewegungslos
starrt sie auf die silbergraue Kühlerhaube, die beinahe ihre Knie berührt. »Was zum Teufel …« Paul macht Anstalten, nach dem Türöffner zu greifen, als aus dem Laden von gegenüber der Gemüseverkäufer auf die

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