An Paris hat niemand gedacht
Aufenthalt wünsche sie und dass sie sich auf jeden Fall bei ihr melden sollen, wenn etwas fehlt. Zu jeder Zeit und keine Scheu! Im Abgang zwinkert sie Paul noch einmal kokett zu.
Als sie endlich die Tür hinter sich ins Schloss gedrückt hat, fällt Paul stöhnend auf das riesige Bett: zwei mal zwei Meter Margeriten, in große Karos gesteppt.
»Was haben wir uns angetan?!«
»Genau das Richtige, mon Pol! Du wirst sehen.«
Zwanzig Minuten später sitzen sie bei Moules Frites im Strandrestaurant mit Blick über Le Palus, wo eine Gruppe von Kindern auf dicken Ponys am Wasser entlangtrabt.
»Als ich klein war, konnte ich stundenlang auf den Atlantik schauen, ohne mich zu rühren.«
»Habt ihr nicht im Landesinnern gelebt?«
»Wir waren oft in Assinie, im Club Méditerranée.«
»Tatenlos am Meer rumsitzen, das würde mich wahnsinnig machen.«
»Ich habe mir Geschichten ausgedacht und darauf gewartet, dass jemand vorbeikommt und mich mitnimmt.«
»Und?«
»Seeräuber, Hochseefischer, Piloten von Wasserflugzeugen. Alle kamen, ich ging mit jedem mit. Wenn es dann Zeit wurde, meinen Ausguck zu verlassen, war ich weit fort gewesen und saß doch noch immer auf dem gleichen Baumstamm.«
Er legt Marta den Arm um die Schultern, nimmt ihre Hand und streicht mit dem Zeigefinger sanft über die frische Narbe.
»Hätte ich das geahnt, ich hätte mich früher auf die Suche nach dir gemacht.«
»Du bist hoffnungslos sentimental!«
Das letzte Pony trippelt eben aus ihrem Blickfeld. Der Hund dreht sich unterm Tisch, sein Halsband klappert auf dem hellen Steinfliesen, warmes weiches Fell legt sich über Martas Füße.
Paul scheint auf eine Antwort zu warten, obwohl da keine Frage war.
Und dann beginnt Marta zu erzählen. Zögerlich erst, von längeren Pausen unterbrochen, den Redefluss wieder aufnehmend, den Blick fest auf den Horizont gerichtet. Paul hört zu. Irgendwann landet seine Hand leicht und ohne Druck auf der ihren, die Kellnerin bringt still noch einen Krug Wein, und selbst der Hund scheint darauf bedacht, keinen Mucks von sich zu geben. Ununterbrochen redet sie, bis Dunkelheit und Kälte sich längst über sie gesenkt haben, spricht noch immer, als die Bedienung sie schüchtern zum Gehen auffordert, endet erst im Morgengrauen, eng an Pauls warmen Körper geschmiegt.
»So, jetzt weißt du.«
Und der Schlaf fällt augenblicklich über sie, traumlos und zentnerschwer.
Zum Frühstück serviert Madame Tourbant neun Sorten hausgemachte Marmelade zu selbstgebackenen Crêpes und freut sich wortreich, als Paul, von dem Marta ihr erzählt, dass er sonst morgens nie etwas zu sich nimmt, vier davon isst. Ja, die Meerluft, davon bekäme jeder einen guten Appetit, und der Mann, der ihren Crêpes widerstehen könne, den gebe es sowieso nicht. Sie ist entzückt, als sie von Pauls Beruf hört, sie hätte ja gleich etwas Künstlerisches vermutet, ob er da nicht Fotos von ihrer Pension machen könne, für die Homepage, die ihr Neffe ihr erstellen wolle. Oder gar etwas veröffentlichen in einem deutschen Magazin? Sie könne ihm gern ein Interview geben, er würde doch sicher ab und zu auch etwas schreiben zu seinen Bildern, oder? Paul bittet Marta zu übersetzen, dass er kein Journalist sei, aber für dieses köstliche Frühstück wären ein paar Fotos das Mindeste, die mache er gerne und stelle sie dem Neffen zur Verfügung, das sei kein Problem. Madame packt ihn bei den Ohren, küsst ihn auf die Stirn, verspricht die besten Madeleines von ganz Frankreich für den nächsten Morgen und verschwindet geschäftig in der Küche. »Homepage ist ja auch viel wichtiger,« schallt es zu ihnen herein, »meine Schwägerin hat auch so eine, und zu der kamen neulich sogar Gäste aus Maryland! Stellen Sie sich das mal vor!«
Wenige Minuten später erscheint sie mit riesigen Lunchpaketen, eines davon für den Hund, Geschenk des Hauses, gute Freunde ohne Essen in den Tag schicken, das gebe es bei ihr nicht. Paul solle nur nicht seine Kamera vergessen.
Auf der Karte haben sie entdeckt, dass ein kleiner Pfad, der vom Strand aus hochsteigt, zum alten Zöllnerweg führt, auf dem man Kilometer weit an der Küste entlanglaufen kann. Bei der Pointe de Plouha fallen die Felsen hundertvier Meter senkrecht zur See hin ab, die höchsten der Bretagne, wie der Reiseführer versichert. Ein kleines Motorboot dreht kurz vor dem Ufer bei, zeichnet einen weißen Halbkreis, der sich im nächsten Moment wieder ins Blau mischt. Man würde lange fallen,
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