Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
An Paris hat niemand gedacht

An Paris hat niemand gedacht

Titel: An Paris hat niemand gedacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Peters
Vom Netzwerk:
Altersunterschied, aber Greta wollte von alldem nichts hören. Ihrer Mutter war ohnehin egal, was sie tat; sie hatte das Studium der Tochter von Anfang an für eine Schnapsidee gehalten und war ob der Tatsache, dass Greta auszog, um den sicheren Ehehafen mit einem nicht mehr ganz so jungen Mann anzusteuern, eher erleichtert. Im Spätsommer, wenige Tage nach ihrem einundzwanzigsten Geburtstag, wurde Greta Richards Frau.
    »Ein Mädchen wie du«, hatte er ihr ins Haar geflüstert, nachdem er ihr den Verlobungsring an den Finger gesteckt hatte, »habe ich immer gesucht.« Greta sonnte sich vor der Hochzeit noch weitere zwei Monate in Richards aufmerksamen Gesten, in seinen charmanten Komplimenten, die sie sich scheinbar mit nichts als ihrer Gegenwart verdiente, die sie zu nichts zwangen, bis sie in der Hochzeitsnacht unter ihm lag.

    Einen Fehler wird sie nicht machen, das hat sie sich geschworen: Mit Klagen oder gar Details über ihre fürchterliche Ehe wird sie ihre Kinder nicht belasten. Die Töchter haben genug familiäres Elend mitbekommen. Selbstmitleidige Berichte über ein Lebensbündnis, dessen Traumbild bereits in der ersten Nacht zu
bröckeln begann mit der Vermutung, dass hier zwei Menschen aufeinandergeprallt waren, die einander besser hätten meiden sollen, wollte und will sie ihnen nicht zumuten. Mit diesen Erinnerungen muss sie allein fertigwerden.

    »Guten Tag, Frau Wördehoff!« An der Hotelrezeption lächelt ihr der ewig gleiche Portier entgegen, reicht nach wenigen Handgriffen die Karte nebst zwei eingegangenen Nachrichten und erkundigt sich, ob sie eine gute Anreise hatte. Greta nickt, während sie eine SMS in die Tastatur ihres Mobiltelefons tippt.
    »Vierhundertacht, wie immer. Wann wünschen Sie morgen früh geweckt zu werden?« Greta dankt, sie wisse noch nicht genau, wie ihr Plan für den nächsten Tag aussehe, sie werde die Zeit später durchgeben, was den Mann kurz zu irritieren scheint. Der glaubt auch, ich bin eine perfekt durchorganisierte Maschine, die niemals aus dem Takt gerät, denkt sie, aber womöglich hat sie einfach nur wieder den Ton angeschlagen, den manche Mitarbeiter als »Wördehoffs Zickerei vom hohen Roß« bezeichnen. Das macht ihr nichts aus. Solange es allzu kontaktfreudige Mitmenschen in ihrem Umfeld auf Abstand hält und Angestellte dazu bringt, sich um Perfektion in der Erfüllung der ihnen gestellten Aufgaben zu mühen, erfüllt es seinen Zweck. Eine gut funktionierende Tarnung ist nicht das Schlechteste, auch wenn sie damit nicht alle Menschen für sich erwärmt. Manchmal wäre sie trotzdem gerne wie Calva, der, wenn er im Betrieb auftaucht, den netten Seniorchef mit warmen Worten für jedermann geben kann. Als diejenige, die ständig mit der Optimierung der Geschäftsabläufe befasst ist, kann sie sich solche Gutmenschauftritte nicht leisten. Die Rollen sind klar verteilt: Calva wird verehrt und geliebt; Wördehoff wird gefürchtet und respektiert. Als Gesamtpaket funktionieren sie optimal, da sollte sie sich über ihren Part
nicht beschweren. Sie als späte Quereinsteigerin muss ohnehin für den ihr entgegengebrachten Respekt härter arbeiten. Das ist in Ordnung.

    Im vierten Stock kommt ihr der Verlagsvertreter entgegen, den sie bereits mehrfach im Sheraton getroffen hat.
    »Na, gnädige Frau, auch wieder unterwegs?«
    »Immer, Sie kennen das ja.«
    Die altmodische Art, wie er »gnädige Frau« sagt, ist eigenartig, aber nicht unangenehm. Der kräftig gebaute Mann in den immer gleichen maßgeschneiderten dunkelblauen Hemden unterm perfekt sitzenden schwarzen Anzug, zu dem er hochwertiges Schuhwerk trägt, ist ihr sympathisch, seit Greta ihm das erste Mal im Hotelflur begegnet ist. Greta mag seine ruhige Ausstrahlung, seinen vom Kettenrauchen vergilbten Zeigefinger, die Geste, mit der er vor sich beim Frühstück dicke Bücher mit für sie unverständlichen Titeln aufschlägt, nicht ohne vorher säuberlich die Krümel vom Tisch zu fegen.
    Als sie ihn vor Monaten einmal nachts an der Hotelbar hatte sitzen sehen, vom Qualm seiner nie verlöschenden Zigarette umwölkt und ausnahmsweise kein philosophisches Werk vor der Nase, hatte sie sich ihm, entgegen ihrer sonstigen Gewohnheiten, vorgestellt und nach dem Grund seines Hierseins gefragt. Erich Hausmann schien erfreut und berichtete, von gelegentlichen Hustenanfällen unterbrochen, über seine Tätigkeit als »Reisender in Sachen Kunst und Philosophie«. Nicht gerade ein einträgliches Geschäft, aber dennoch wirkte

Weitere Kostenlose Bücher