An Paris hat niemand gedacht
er nicht unzufrieden bei seinem »selbstredend aussichtslosen Kampf gegen die fortschreitende Verdummung unserer von Castingshows und Seifenopern eingelullten Gesellschaft«, wobei er ein warmherziges Lachen hinterherschickte, das Greta, die seinem Kulturpessimismus
vorsichtig zu widersprechen versuchte, für ihn einnahm. Ob ihr Georg Simmels Abhandlung zur »Philosophie der Mode« bekannt sei, fragte Hausmann, nachdem er sich nach Gretas beruflichem Grund für ihre Dauerpräsenz in deutschen Hotels erkundigt hatte. Greta verneinte, sie sei eher praktisch mit Mode befasst, worauf er erneut lachte, sich dafür entschuldigte, dass er »es«, was auch immer er damit meinte, nicht lassen könne, und eine weitere Runde Pils für sie beide bestellte. Nur ein Zitat sei ihm gestattet, meinte er, Simmel hätte bereits im Jahr 1905 den schönen Satz geschrieben: »Es liegt aber der eigentümlich pikante, anregende Reiz der Mode in dem Kontrast zwischen ihrer ausgedehnten, alles ergreifenden Verbreitung und ihrer schnellen und gründlichen Vergänglichkeit, dem Recht auf Treulosigkeit ihr gegenüber.« Ob sie das auch so sehe? Greta bejahte und meinte, dass ihr das mit dem Recht auf Treulosigkeit gefiele, sie werde daran denken, wenn mit der üblichen künstlichen Aufregung die neue Kollektion vorgestellt werde. Leider verfüge sie nicht über die nötige Zeit, sich ausführlicher der philosophischen Auseinandersetzung mit dem Phänomen Mode zu widmen.
»Ist vielleicht auch besser so«, sagte Hausmann und lächelte milde.
Greta setzte zu einer Entgegnung an, entschied sich dann aber doch zu schweigen. Sie hatte keine Lust, sich auf eine Diskussion mit ihm einzulassen. Schon möglich, dass ihr Job oberflächlich war, dachte sie, aber nicht jeder konnte sich den Luxus erlauben, über Inhalte nachzudenken.
Nachdem der Kellner die frisch gezapften Gläser vor ihnen hingestellt hatte, erhob er seines, leerte es in einem Zug und bekam wohl erst beim Abwischen des Schaums von seiner Oberlippe mit, dass Greta wortlos aufgestanden war und die Bar verlassen hatte.
Am nächsten Morgen grüßte er sie mit der gleichen höflichen Distanziertheit wie immer, worüber Greta froh war. Sie beschloss, ihn weiterhin aus der Ferne zu mögen, und dies schien unausgesprochen auf Gegenseitigkeit zu beruhen.
Auch jetzt belässt Hausmann es bei einer unverbindlichen Frage nach dem »werten Befinden«, rasch angefügten »guten Wünschen für die Geschäfte« und verschwindet im Fahrstuhl.
Wir zwei Dauerreisenden wären ein interessantes Gespann, denkt Greta, und so entgegengesetzt sind unsere Aufgabenfelder auch wieder nicht. Er verkauft den Versuch, die menschliche Existenz zu deuten; ich versuche, sie schön einzukleiden.
Vom Besuch der Hotelbar wird sie heute Nacht trotzdem absehen.
Beim Betreten des Zimmers erwartet Greta der immer gleiche Obstkorb neben dem Blumengesteck auf dem Schreibtisch. Sie hebt den Rollkoffer auf den dafür vorgesehenen Platz, verstaut Kulturbeutel und Schminkutensilien im Bad, hängt zwei Blusen in den Schrank und wirft einen Blick auf die Nachrichten, die der Portier ihr ausgehändigt hat. In Budapest wünscht man eine Erweiterung des Sortiments im Bereich Accessoires, die Frankfurter Supervisorin schlägt eine Ergänzung der Gästeliste für die Feier zum zehnjährigen Bestehen des Shops vor und beschwert sich, zur Neueröffnung in Düsseldorf keine offizielle Einladung erhalten zu haben. Nichts, worum sie sich augenblicklich kümmern muss. Der Blick auf die Uhr sagt ihr, dass keine Zeit bleibt, eine Dusche zu nehmen.
»Sophia, ich bin’s.«
»Mama, was gibt’s?«
Manche sagen, die Stimme ihrer ältesten Tochter sei am Telefon nicht von der ihren zu unterscheiden, und Greta fragt sich,
ob auch bei ihr dieses leicht rauchige Timbre mitklingt, das sie am Klang von Sophias Stimme so mag.
»Ich bin in München, im Sheraton am Flughafen, und wollte mich einfach mal melden.«
»Das ist schön. Hast du viel zu tun?«
»Wir haben eine äußerst erfolgreiche Frühjahrssaison hinter uns gebracht und rackern uns nun ab, um das im Herbst noch überbieten zu können.«
»Ist das jetzt gut oder schlecht für dich?«
»Eher gut, würde ich sagen. Und bei dir?«
»Nichts Besonderes.«
»Können wir uns treffen? Wir haben uns so lange nicht gesehen. Vielleicht morgen früh? »
Die wenigen Sekunden Schweigen zu viel, um die sich Sophias Antwort verzögert, lassen Greta verunsichert die Luft anhalten.
»Ich habe um
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