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An Paris hat niemand gedacht

An Paris hat niemand gedacht

Titel: An Paris hat niemand gedacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Peters
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schwarzen und braunen Farbtupfern, deren Gattungsbezeichnung nicht in ihrem Hirn ankam. Sie wusste nicht zu sagen, wie viel Zeit vergangen war, bis sie die Wagentür zuschlagen hörte und Marta hinterhersah, die, ihren Rucksack über die Schulter gehängt, in der Raststätte verschwand.
    »Um dir Schuld anzulasten, kenne ich dich zu wenig.« Der Satz klang noch in Gretas Ohren nach, aber sie war nicht sicher, ob Marta ihn beim Aussteigen wirklich gesagt hatte.
    Der Schlüssel steckte, eine launige Moderatorenstimme warnte vor herumliegenden Eisenteilen auf der A2 kurz vor dem Kreuz Magdeburg. Das war auch keine Lösung.
    Greta stieg aus, lehnte sich an die Motorhaube und zündete eine Zigarette an. Sie hatte bereits mehrere Züge von der zweiten geraucht, als sie hinter der Glasfront eine Person ausmachte, die ihr zugewandt vor den fließenden Umrissen einer dunkelblauen Tasse saß. Greta hob mit den Schultern beide Arme, winkelte die Ellenbogen ab und drehte die offenen Handflächen nach außen, bevor sie sie mit einem Klatschen schlaff auf ihre Oberschenkel fallen ließ. Die Gestalt hinter der Scheibe wiederholte die Geste mit leichter Verzögerung. »Ich weiß es doch auch nicht«, flüsterte Greta, ging zur Fahrertür und tastete nach dem Zündschlüssel.
    Beim Gang durch die Raststätte passierte sie den Kaffeeautomaten, legte der Kassiererin einige Geldstücke hin und schob, als
sie an Martas Tisch Platz genommen hatte, den Autoschlüssel mittig zwischen die einander gegenüberstehenden Tassen.
    »Alte Rechnungen bringen uns nicht weiter«, sagte Greta, und Marta warf ihr einen irritierten Blick zu. »Du nennst das ›alte Rechnungen‹?«
    »Nein. Ich will bloß sagen: Lass uns keinen Prozess gegeneinander führen, den ich zwangsläufig verlieren würde.«
    »Das ist nicht gesagt.«
    »Lass uns anders beginnen, bitte. Wie wäre es, in Betracht zu ziehen, dass es unterschiedliche Sichtweisen gibt, von denen wir wissen sollten? Sozusagen als Basis. Wäre das eine große Zumutung für dich?«
    »Wollen wir das denn?«, fragte Marta, und Greta wusste das Lächeln um ihre Mundwinkel nicht einzuordnen.
    »Was?«
    »Eine Basis?«
    Sie sahen sich an, nirgends die Spur eines Fluchtreflexes. Das war neu. Etwas hatte sich verändert; sie wussten nicht, wie oder was, aber das spielte keine Rolle.
    »Lass uns nach Frankenberg fahren und nachsehen, ob sie diesen Sarg tief genug in der Erde versenken«, sagte Greta.
    Marta nickte, streckte den Arm aus und zog den Schlüssel zu sich heran. »Du bist froh, dass er tot ist.«
    »Du nicht?«
    Marta zuckte mit den Schultern. »Im Grunde kann er einem leidtun: Ein armer alter Mann, der verwahrlost und allein in seiner heruntergekommenen Villa vor sich hin krepiert ist.«
    »Er ist im Krankenhaus gestorben«, sagte Greta ungehalten.
    »Von mir aus. Soweit ich weiß, war jedenfalls niemand bei ihm. Kannst du dir vorstellen, dass irgendjemand seinen Tod betrauert?«

    Greta schien einen Moment verwirrt, schob den Ring von ihrem Mittelfinger und ließ ihn auf dem Tisch kreisen. »Irgendwer wird sich schon gekümmert haben, was geht uns das an?«, murmelte sie, den Blick fest auf den roten Stein in der Goldfassung gerichtet. Ich kenne diesen Ring irgendwoher, dachte Marta und sagte: »Da hat jemand drei Töchter gehabt, und wenn es stimmt, was du gestern Abend erzählt hast, hat keine von ihnen weinend am Sterbebett gesessen. Und soweit man Kati Glauben schenken kann, hat er die letzten Jahre damit verbracht, im Unterhemd am Küchentisch zu hocken und sich um den letzten Rest seines Verstands zu saufen. Wenn das kein armseliges Ende ist!«
    Der Ring wurde mit einem Ruck an seinen ursprünglichen Platz zurückgebracht, Greta sah Marta an, ließ ihre Augen wieder sinken. Sie räusperte sich: »Er hat uns allen das Leben zur Hölle gemacht, und du empfindest Mitleid mit ihm?«
    Marta hob die Schultern, ließ sie fallen. Sie wehrte sich gegen den Gedanken, dass es Greta war, mit der man Mitleid haben konnte. Diese von Kopf bis Fuß durchgestylte Frau mit dem Topjob wirkte mindestens so bitter und verletzt, wie sie es viel zu lange von sich selbst angenommen hatte. Es schien plötzlich falsch und dumm, dass sie all die Jahre, in denen sie mit ihrem Hass auf Greta beschäftigt gewesen war, tatsächlich nicht darüber nachgedacht hatte, was es für ihre Mutter bedeutet haben mochte, im Alptraum dieser Familie zu leben. »Ich hatte keine Wahl«, waren Gretas Worte gewesen, womöglich stimmte

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