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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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Traum von einem Kleid! Die
hellblaue Seide harmonierte perfekt mit der Farbe ihrer Augen und unterstrich
aufs Eleganteste ihre schneeweiße Haut. Die winzigen weißen Rosenknospen, mit
denen der lange Rock besetzt war, wirkten irgendwie unschuldig und bildeten
einen faszinierenden Kontrast zu dem sehr offenherzigen Dekolletee.
    Vitória drückte das Kleid eng an ihre Taille und
blickte an sich herab. Die derben Schuhe, die unten herausschauten, brachten
sie zum Lachen, hielten sie aber nicht davon ab, ein paar Walzerschritte zu
vollführen und sich dabei zu drehen. Leise summte sie die Melodie des Wiener
Walzers, zu dem sie durch den Saal geschwebt war, und hätte Rogério sie nicht
so fest gehalten – vielleicht ein bisschen zu fest? –, wäre sie sicher in
Ohnmacht gefallen. Wie würde sie nur die Zeit bis zum nächsten großen Fest überstehen?
Drei endlose Wochen! Aber dafür versprach die Hochzeit von Rubem Araújo und
Isabel Souza wenigstens, ein herausragendes Ereignis zu werden. Mehr als
zweihundert Gäste waren eingeladen, und die Souzas würden sich nicht lumpen
lassen, zumal sie froh sein konnten, eine so gute Partie für ihre farblose
Tochter gefunden zu haben. Endlich mal wieder eine Gelegenheit, sich richtig
herauszuputzen! Dieses Kleid würde Vitória dann selbstverständlich nicht tragen
können, schließlich wären die Gäste dieselben wie bei dem Fest der Gonzagas. Aber
vielleicht das kirschrote? Es war ein äußerst auffälliges Stück von
ausgesuchter Eleganz, und es brachte Vitórias weiße Haut und ihr schwarzes Haar
vorzüglich zur Geltung.
    Abrupt wurde Vitória aus diesen Überlegungen
gerissen. Miranda stolperte in die Kammer.
    »Sinhá Vitória, da ist Besuch für Sie. Ich habe
mich aber nicht getraut, ihn hereinzubitten.«
    O je, hoffentlich war es niemand Wichtiges!
Miranda hatte zwar strikte Anweisung, niemanden ins Haus zu lassen, den sie
nicht kannte, aber es konnte sich ja durchaus um jemanden handeln, dem das Mädchen
in den drei Monaten, die sie nun auf Boavista war, noch nicht begegnet war. Der
Bankier Veloso womöglich, oder die Witwe Almeida.
    Doch an der Tür stand ein Mann, den auch Vitória
nie zuvor gesehen hatte. Seine Stiefel waren schlammverkrustet, und seine
Kleidung, die ihn als jemanden einfacher Herkunft auswies, war ähnlich
verschmutzt. Er schien einen langen Ritt hinter sich zu haben. Den ledernen Hut
hatte er abgenommen, ein Abdruck auf seiner Stirn bewies, dass er ihn viele
Stunden lang getragen haben musste. Sein schulterlanges Haar war im Nacken
zusammengebunden, doch einige Strähnen hatten sich gelöst. Sie hingen ihm ins
Gesicht und verliehen ihm einen verwegenen Eindruck. Um seine Hüften hatte er einen
Gürtel geschlungen, in dem ein großer Revolver steckte.
    Eine höchst sonderbare Erscheinung. Der Kleidung
nach mochte er ein Gaúcho sein, ein Bauer aus dem Süden des Landes. Nach seinem
blauschwarzen Haar und seinen leicht schräg gestellten Augen zu urteilen,
konnte er ebenso gut ein caboclo, ein Indiomischling, sein, wie sie
dieser Tage so zahlreich durch die Gegend irrten, auf der Suche nach
Lohnarbeit. Seine Haltung dagegen war weder die eines schlichten Bauern noch
die eines Caboclos. Er hielt den Kopf hoch erhoben und sah Vitória mit einem
Blick an, der alles andere als unterwürfig war und der ihr einen kalten Schauer
über den Rücken jagte. Ob er etwa ein Verbrecher war? Wer lief schon am
helllichten Tag mit einem Revolver herum? Vitórias Atem beschleunigte sich
unmerklich. Sie war allein auf sich gestellt, von ihrer bettlägerigen Mutter
oder der tollpatschigen Miranda konnte sie keine Hilfe erwarten. Luiza war in
der Küche im hinteren Teil des Hauses, wo sie von einem Überfall nichts
mitbekommen würde, und Félix war wahrscheinlich schon längst unterwegs nach
Vassouras.
    »Guter Mann, Sie haben sich in der Tür vertan.
Der Dienstboten und Lieferanteneingang befindet sich an der Rückseite des
Hauses – wie eigentlich bei allen Anwesen in diesem Land. Und was immer Sie uns
verkaufen wollen: Wir brauchen es nicht.« Noch bevor der Mann überhaupt ein
Wort äußern konnte, schlug ihm Vitória die Tür vor der Nase zu. Im selben
Augenblick ärgerte sie sich über ihre übertriebene Reaktion. Jetzt fing sie
schon an, Gespenster zu sehen, also wirklich! Ein Räuber – sie hatte einfach zu
viel Fantasie. Wahrscheinlich war der Mann ein Händler, der ihnen Scheren,
Feldgerät oder Saatgut einer neuen Maiszüchtung verkaufen wollte. Durch

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