Ana Veloso
konzentrieren.
»Na schön, ich merke schon, du hast heute wieder
einen deiner mundfaulen Tage. Bitte sehr, Gnädigste, dann behalte eben deine
unaussprechlichen Gedanken für dich.« Vitória machte auf dem Absatz kehrt. An
der Tür drehte sie sich noch einmal zu Luiza um. »Falls irgendetwas sein
sollte, du findest mich in der Wäschekammer.«
Als Nächstes musste Vitória prüfen, wie es um
Tisch- und Bettwäsche bestellt war. Zwar wurde alles regelmäßig gewaschen und
gestärkt, doch aufgrund der tropischen Hitze und der hohen Luftfeuchtigkeit
bildeten sich die Stockflecken manchmal so schnell, dass die Wäsche nicht so
duftig und rein war, wie man es in einem Haus wie dem ihren erwarten durfte.
Mit großer Wahrscheinlichkeit würden die Freunde ihres Bruders die Nacht hier
auf Boavista verbringen, denn das nächste Hotel befand sich in Vassouras, und
einen zweistündigen Ritt konnte man des Nachts keinem Gast zumuten, ganz zu
schweigen von einer Kutschfahrt. Die Wege waren nach dem Regen noch immer
schlammig und schwer passierbar, zudem lauerten zahlreiche Gefahren in Form von
giftigen Spinnen oder gesetzlosem Gesindel. Außerdem gebot es die
Gastfreundschaft, den Herren ein Zimmer für die Nacht anzubieten. Platz genug
war ja im Haus.
Mit sechs Schlafzimmern und zwei Bädern in der
oberen Etage war das Herrenhaus für die Familie da Silva eigentlich viel zu groß.
Als ihr Vater das Haus gebaut hatte, war er von einem Kindersegen ausgegangen,
der sich nicht erfüllt hatte. Dona Alma hatte zwar sieben Kinder geboren, von
denen drei aber noch als Säuglinge gestorben waren. Ein weiteres Kind wurde im
Alter von elf Jahren von der Cholera dahingerafft, die 1873 gewütet hatte, und
ihr älterer Bruder erlag dem Wundstarrkrampf, nachdem er sich an einem rostigen
Zaun verletzt hatte. Nur sie selber und Pedro waren übrig, und Pedro kam nur
noch sporadisch nach Hause.
Vitória nahm das größte Tischtuch aus dem
Schrank und schlug es auseinander. Es duftete ganz schwach nach Lavendel. Wenn
sie zu siebt waren, dann sollte in jedem Fall die große Tafel gedeckt werden.
Die Decke schien ihr in Ordnung zu sein. Und die dazu passenden Servietten mit
der aufwändigen Lochstickerei? Vitória untersuchte sie penibel auf Flecken,
Gilb und Löcher hin, konnte aber nichts entdecken. Umso besser. Vorsichtig
faltete sie Tischtuch und Servietten wieder zusammen, legte sie beiseite und
schloss die Türen des alten Kirschbaumschrankes, der, genau wie die Wäsche, zur
Aussteuer ihrer Mutter gehört hatte.
Gerade als Vitória die Wäschekammer verlassen
wollte, fiel ihr Blick auf das Ballkleid, das in der Ecke neben der Tür an
einem Bügel hing. Nach dem Fest bei den Gonzagas war das Kleid zur Schneiderin
gebracht worden, die einige Ausbesserungen daran vornehmen musste. So
ausgelassen hatte Vitória getanzt, dass nicht nur der untere Saum an einigen
Stellen aufgegangen war, sondern sich sogar der Rüschenbesatz am Ärmel gelöst
hatte. Gott sei Dank war es niemandem außer ihr – und ihrer Mutter natürlich –
aufgefallen, denn die anderen Gäste waren in ähnlich beschwingter Stimmung wie
sie selbst gewesen.
Was für ein Fest! Rogério, ihr glühendster
Verehrer, hatte sie so wild herumgewirbelt, dass ihr ganz schwindelig davon
geworden war. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Es mochte auch der Champagner
daran schuld gewesen sein, den Edmundo, dieser Langweiler, ihr nach jedem Tanz
zu reichen sich beeilt hatte. »Vita«, hatte er gesagt und sie bewusst bei dem
Namen genannt, mit dem sie nur von ihren engsten Freunden angesprochen wurde, »Vita,
du wirkst ganz erschöpft. Nimm noch ein Glas, der Champagner wird dir gut tun.«
Wenn er auf ein nettes Geplänkel mit ihr gehofft hatte, dann war er noch dümmer,
als er aussah. Wer mochte sich schon mit Edmundo unterhalten, wenn die eigens
aus Rio angereiste Kapelle so mitreißende Walzer, Polkas und Mazurkas spielte?
Edmundo hätte sie ja zum Tanz auffordern können, statt sie immer nur mit seinem
Hundeblick zu verfolgen. Aber wenn ihm der Tanz nicht lag ...
Jetzt hing das wunderschöne Kleid da wie neu,
frisch gewaschen und gebügelt. Die Waschfrau musste es erst kürzlich zurückgebracht
haben. Dennoch ärgerte es Vitória, dass man ihr nicht Bescheid gesagt hatte.
Was, wenn sie es hier nicht zufällig entdeckt hätte? Ein solches Stück lässt
man doch nicht einfach in einer Ecke der Wäschekammer hängen! Sie nahm den Bügel
vom Haken und hielt sich die Robe vor. Was für ein
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