Analog 2
ruhiger fort. „Ich gehe am Morgen durch die Dünen. (Nennen wir es Morgen!) Der Sand ist heiß. Höllisch heiß – um eine Phrase zu gebrauchen. Aber ich habe schon lange kein Gefühl mehr in den Füßen. Ich gehe also zum Meer hinab. Es ist blau. Es ist blau, denn es brennt. Flüssiger Schwefel. S + O 2 → SO 2 . Millionen winziger Flämmchen.“
„Feuer und Höllenstein?“ fragte Quentin Thomas.
„Ja. Wie in der Bibel.“
„Macht dir das Schwefeldioxid nicht zu schaffen?“
„Früher ja. Aber das ist alles eine Sache des Geistes. Wenn man sich entscheidet, daß es einem nicht zu schaffen macht, dann macht es einem auch nicht zu schaffen.“
„Ich verstehe.“
„Ich komme also gerne ans Ufer, sitze hier. Nur ich, der Sand und die großartige Musik.“
„Einen Augenblick. Du sagtest – Musik? Was für eine Musik?“
„Die Zehnte, Quent! Beethovens Zehnte Symphonie! Die Ambition meines Lebens. Ich hätte nie gedacht, daß ich es noch erleben dürfte. Aber ich durfte! Ich habe sie endlich gefunden. Das brennende Meer. Jede Flamme ist ein Instrument, eine kontrapunktierte Melodie. Die Zehnte ist hier! Hier unten! “
Quentin fühlte die Luft langsam aus seinen Lungen entweichen. Vage erkannte er, daß er den Atem angehalten hatte. „Beethovens Zehnte … in der Hölle? “ sagte er laut zu sich selbst.
„Exakt“, pflichtete die unsichtbare Stimme bei. „In voller Länge. Und wenn – wenn – du sie hören könntest, dann würdest du verstehen, warum der große Mann sie nicht beenden konnte.“
„Warum?“
„Weil sie geistig, physisch und spirituell nicht zu beenden war. Weil sie keinen Anfang und kein Ende hatte. Und wie soll man etwas beenden, das kein Ende hat? Das bis in alle Ewigkeit weitergeht? Irgendwie muß Beethoven mit der Musik des brennenden Meeres in Verbindung gestanden haben. Er spürte die Musik. Die individuellen Flammen sind akustisch. Sie bilden die Musik, wenn man sie lesen kann. Gott allein weiß, wie Ludwig sie niederschreiben konnte. Aber er konnte es, wenigstens teilweise. Er versuchte, sie zu Papier zu bringen, und das brachte ihn um. Er muß schließlich erkannt haben, daß dies außerhalb der Möglichkeit eines sterblichen Wesens lag. Warum? Weil es eine umfassende Definition des gesamten Universums ist! Und daher lag es auch außerhalb der Möglichkeiten des größten Musikers, der jemals gelebt hat. Und diese Unfähigkeit erzürnte ihn. Während des Sturms in seiner Sterbenacht erwachte er benommen, schüttelte die Faust gen Himmel, und dann starb er.“
„Du bist also in der Hölle“, sagte er langsam. „Dafür steht also das H in H-TEK. Und du hast die ganze Zeit vorgehabt, nach dem Doppelmord da hindurchzugehen. Richtig?“
„Richtig“, stimmte der Erfinder-Musiker definitiv zu.
„Und es gefällt dir dort?“
„Wieder richtig.“
„Aber jemand will dich dort nicht haben, daher will man dich wieder vertreiben.“
„Hundertprozentig richtig, Quent.“
„Also hast du mich gerufen … um die Vertreibung zu verhindern?“
„Wirst du den Fall übernehmen?“
„Nicht so hastig“, sagte der Anwalt. „ Warum versuchen sie, dich wieder abzuschieben?“
„Nun, Quent, wie sich herausstellte, lassen sie nicht jeden hier rein. Man muß auf der Liste stehen und sich qualifizieren. Man darf sich nicht einfach so durch die Hintertür hereinschleichen, wie ich das getan habe.“
„Hast du ihnen denn nicht gesagt, warum du bleiben willst?“
„Natürlich. Aber meine Bitte stieß auf taube Ohren. Und dann begannen sie, Druck auf mich auszuüben. Schmutzige Tricks.“
„Was denn zum Beispiel?“
„Du erinnerst dich doch an meinen Geschäftspartner, Victor? Er lag mit Denise im Bett, als ich ihn erschossen habe.“
„Soweit ich weiß.“
„Er ist hier, Quent.“
„Das überrascht mich nicht.“
„Nein, ich meine hier, direkt neben mir. Sag guten Tag, Victor.“
Die Flamme flackerte, als würde sie die Wellenlänge ändern. „Hallo, Mr. Thomas.“
„Hallo, Victor. Wie fühlen Sie sich?“
„Warm.“
„Und jetzt bin ich wieder hier, Quent.“
„Also haben sie dir Victor Higgins als Gesellschaft gegeben“, sagte Thomas. „Diabolisch.“
Die Flamme zitterte ein wenig. „Hier unten“, monierte Miller, „gebrauchen wir solche Worte nicht.“
„Ich werde darauf achten, Carl. Weiter.“
„Wesentlich, ich habe hier unten meine kleine Privathölle. Wie jeder andere auch. Frag mich nicht, wie sie das machen, bei den Millionen
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