Analog 3
einen Tag, bereits zu lang,
Mißbilligt von Fortunas …“
„Buch I, Lied VIII, Vers 43“, sagte Billy. „Wie ich sehe, bin ich nicht der einzige, der einen Hang zum Literarischen hat.“
„Es hat mich begeistert“, antwortete Lindilu, „also habe ich mir eine Kopie von dem Bücherei-Computer beschafft. Du hast ein phantastisches Gedächtnis.“
„Ich vergesse niemals etwas. Das ist das Schicksal eines Hiags.“
Sie biß sich auf die Unterlippe. „Ja, ich vermute, so wird es sein.“
„Der Fluch meines Berufs“, sagte Billy. „Aber glaube mir, ein paar Dinge sind es wert, daß man sich daran erinnert.“
Der Hiag bestellte etwas zu essen und eine Karaffe Quitone , einem edlen, wohlduftenden Wein, der von einer der Mittelpunkt-Welten importiert wurde. Während sie aßen, nippten sie ab und zu an den großen Gläsern mit spiralförmigen Stielen.
„Gibt’s irgend etwas Neues über die verschwundene Insel, Billy?“ Er hatte ihr vorher ein wenig über seinen Auftrag auf Bahamba Bright erzählt.
„Ich fürchte, nein. Die Insel wurde abgeschnitten, glatt wie ein Spiegel. Es ist ein Spiegel: Die Leute vom Labor sagen, es sei lediglich ein abgescherter, natürlicher Fels.“
Sie schüttelte verwundert ihren Kopf, und ihre Haare tanzten. „Das ist allerdings seltsam. Schon eine Ahnung, wie das zuwege gebracht wurde?“
„Die See, siehst du’s nicht deutlich hier,
Des Land’s beraubt dort unter dir?
Mehr Ahnung als der Dichter habe ich auch nicht.“
Sie leerte ihr Glas. Der Hiag schenkte ihr nach … und erstarrte, als sei er von einer plötzlichen Lähmung befallen worden.
„Billy. Was ist mit dir?“
„Nichts. Ich hatte nur gerade so etwas wie einen Geistesblitz. Also … wie ging das noch weiter … Ein Vers beschreibt, wie die Berge einstürzen. Und dann …
Wie kannst denn nie geschaute Dinge du verstehen,
Erwiderte der selbstgerechte Artegall darauf,
Wo du doch selbst nicht kennst, was du kannst sehen?
Was aber nun die See mit ihrer Wellen Lauf
Verschlingt an Erdreich, mit sich stößt,
Ist nicht verloren oder gänzlich gar verschwunden.
Denn was auch immer wird von einem Ort gelöst,
Wird von der Flut an eine andre Stell’ gebunden.
Denn nichts ist ewig fort, was man kann finden,
Wenn man sucht.“
„Ich verstehe nicht.“
„Ich auch nicht“, antwortete der Hiag. „Aber ich habe da ein unbestimmtes Gefühl. Mein Unterbewußtes versucht mir etwas mitzuteilen. ,Ist nicht verloren …‘, ,Denn nichts ist ewig fort, was man kann finden, wenn man sucht …‘, ,Wie kannst denn nie geschaute Dinge du verstehen …‘. Und ein optisch flacher Schnitt …
Kannst du dir vorstellen, wie groß die Energie sein muß, die eine ganze Insel aus dem Gravitationsfeld dieses Planeten fortbewegen kann? Sie muß enorm sein. Man sollte annehmen, daß man die Kraftquelle für einen solchen Akt ausfindig machen kann. Dies spricht für die Annahme, daß sich die Insel noch irgendwo hier befindet, in gewissem Sinne … irgendwo … verborgen ist. Aber wie? Worin verborgen? Hinter … nein, unter. Unter! Unter einer Grenzfläche, die so glatt ist, daß sie die Oberfläche reflektiert!“
„Das ist doch albern, Billy. Man kann keine Insel hinter Spiegeln verstecken! Du hast ein bißchen zuviel Quitone getrunken. Laß uns an den Strand gehen und ein wenig frische Luft atmen.“
„Nein. Warte. Mir dämmert langsam etwas. Spaltungsebenen eines Kristallgitters … nein, das ist Quatsch, der Fels besteht nicht aus einem einheitlichen Kristall. Aber so etwas Ähnliches muß es sein. Verschiebungen … räumliche Verschiebungen entlang einer Schnittebene!“
Lindilu griff nach seinem Ellbogen. „Zuviel Wein, wie ich bereits sagte. Vielleicht fällt mir etwas ein, wie ich dich wieder nüchtern machen kann …“
Aber der Hiag hörte gar nicht zu.
„Eine Übertragungsebene“, sagte er. „Irgend jemand hat es geschafft, eine Interphasen-Übertragungsebene zum Funktionieren zu bringen! In allen Lehrbüchern steht, daß dies unmöglich ist, aber die Beweisführung schien mir immer schon etwas schwammig zu sein. Sie setzt nämlich die Gültigkeit der Warhornschen These für Teildimensionen voraus, und die ist nur für algebraische Korrelationen bewiesen …“
Lindilu zuckte zurück. Der Hiag donnerte mit seiner Faust auf den Tisch. „Das muß es sein!“
„Billy, was ist eine Interphasen-Übertragungsebene?“
Der Hiag nahm zwei Eßstäbchen und legte sie Seite an Seite auf das
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