Analog 6
klopfte sich den Sand von den Kleidern und kam zu uns herüber.
„Wir sollten wohl besser gehen.“
„Nein.“
Es war Karnev, und seine Stimme klang spröde.
„Was soll das?“
„Wir müssen sie noch prüfen.“
Vekkar war erstaunt.
„Prüfen? Das ist nicht notwendig. Das Ding da ist doch absurd. Ein dummer Witz. Handelaston sollte sich entschuldigen – aber dieses … dieses Ding zu prüfen …“
Karnev zitterte fast.
„Du blinder, blinder Mann!“ zischte er. „Das ist zwar absurd, aber es ist ein Schiff. Ein absurdes Schiff. Aber ein Schiff! Ich traue ihm nicht! Wir müssen es prüfen.“
In meinem Magen zog sich plötzlich etwas zusammen. Ein absurdes Schiff, aber ein Schiff! Er hatte es gesehen; einen Augenblick lang hatte Karnev seine Kultur durchbrochen, hatte darüber hinaus in eine andere Welt gesehen, die er sich nicht vorstellen konnte, und dort hatte er es erkannt – ein Schiff. Der Ansatz war so fremd, so merkwürdig, daß er es kaum glauben konnte, aber er mußte es akzeptieren. Er sah eine Richtigkeit, die er nicht abstreiten konnte, obwohl er sie nur halb verstand. Und auch ich konnte zum ersten Mal sehen, so schien es. Ich konnte sehen, daß das hier nicht weitergehen sollte. Ich hatte meinen Standpunkt vertreten. Ich brauchte das nun nie mehr zu tun, weder hier noch in der Akademie, noch irgendwo in dem Salz und Pfeffer der Sterne der Galaxis. Es war nicht notwendig, Standpunkte zu vertreten. Niemand konnte das rechtfertigen. Und nun war es um Augenblicke zu spät.
„Schiffbauer“, unterbrach ich hastig, „ich gebe mich geschlagen. Du hast gewonnen. Wir brauchen diese Rümpfe nicht zu prüfen.“
Er sah mich an, fand seinen Weg zurück auf bekannten Boden und lächelte langsam.
„Hast du Angst, Zwerg?“
Wie konnte ich ihm sagen, daß ich jetzt Angst hatte – jetzt, da mein Zorn verschwunden war, hatte ich Angst davor, was das Schiff von den Sternen leisten konnte. Vekkars Freunde kamen näher, viel zu viele von ihnen.
„Dann zuerst eine private Prüfung“, drängte ich. „Nur zwischen dir und mir.“
Karnev sah mich an, und seine Augen wurden schmaler. Der verrückte Rumpf mit seinen Kurven und Tälern paßte in seine rechte Handfläche wie ein zusammengesetzter Bogen, und sein eigenes Meisterwerk ruhte wie ein Speer in seiner linken. Er sank in seine eigene Welt zurück – und wenn er mich für einen Feigling hielt, zog ihn das noch tiefer hinein. Es war unmöglich, die beiden Schiffsrümpfe zu vergleichen. Der eine war fleischgewordene Schnelligkeit, der andere ein spottendes Flickwerk. Seine Logik sagte ihm, daß das der Fall war, aber er traute mir nicht. Ich war eine unbekannte Größe. Ich hatte bei meiner Ankunft die Sternenfelder zerteilt, mein Schiff hatte das Meer zum Kochen gebracht. Außerdem war ich aber ein unverschämter Grünschnabel.
Seine Hände spannten und entspannten sich auf der wachsigen Körnung der Rümpfe. Sollte er mich öffentlich in die Schranken weisen oder nicht … Er stand verschiedenen Realitäten gegenüber und mußte eine Wahl treffen, wie sie noch kein Mensch auf Kattar erlebt hatte, sich auf einen fremden Ozean hinauswagen, nur mit seiner eigenen Stärke bewaffnet, bis auf seine Geistesgegenwart ohne jegliche Kenntnisse. Seine Instinkte mußte er dabei weit hinter sich lassen. Ich glaube aber, daß er sich darüber nicht im klaren war.
Seine Augen sprangen von Überlegung zu Verachtung über. Er schlug wie eine Windmühle mit seinen Armen und streckte beide Rümpfe gegen den Himmel.
„Wir werden sie prüfen, wie wir das immer getan haben“, verkündete er mit einer makabren Mischung von Trotz und Stolz. „Jetzt, im Bassin, wie wir es immer gehalten haben.“
Er sah jeden einzelnen einmal zornig an, ließ dann seine Arme herabsinken und verließ den Hof. Ein Murmeln wallte auf, als wir ihm alle folgten.
Das Prüfungsbassin lag ungefähr fünfzig Meter hinter dem Haus in der Nähe des Meers. Es war lang und klar und wurde durch eine Verstärkung von Holzbalken im Sand stabilisiert. Karnev – oder wahrscheinlicher sein Vater oder der Vater seines Vaters vor ihm – hatte das Becken aus einem ehemaligen Bach gebaut. Er hatte ihn dazu nicht umgeleitet, sondern nur seinen bereits bestehenden Lauf durch die Welt leicht korrigiert. Hinter der Sandmauer donnerte die Brandung, aber auf dem Wasser des Beckens erstarben nur ziellose, zufällige Windstöße zu Stille.
Karnev blieb nicht stehen, um die Aussicht zu bewundern.
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