Analog 6
an.
Plötzlich schien das Heilige Wasser selbst zu kichern, ein strahlendes Flimmern silberner Fünkchen breitete sich in konzentrischen Kreisen von einem Punkt direkt unterhalb des Bootes aus. Dann – ohne daß sie dessen Annäherung bemerkt hätte – blickte sie plötzlich in ein riesiges gelbes Auge, das keine Zangenspanne von ihren grünen Augen entfernt war. An der anderen Seite des Bootes stieg ein zweites Auge aus dem Wasser empor und schenkte ihr seine ganze Aufmerksamkeit – dieses war blau. Nun konnte sie, im Licht ihres verblassenden Tones, unter dem Boot einen riesigen und dunklen Buckel ausmachen. Aus diesem begann ein annähernd kreisförmiger Ausschnitt in den nur zu vertrauten Farben Rose, Beinschwarz und Umber zu schillern, doch die Lichtbrechung an der Wasseroberfläche machte die Botschaft unverständlich. Zaghaft tauchte sie ein Auge ins Wasser.
„… sie haben beschlossen, mich zu entsenden.“
„Willkommen in meinem Reich, kleiner Wicht.“
Der massige Gott versank in den lichtlosen Tiefen.
Wink wurde vollkommen blank. Ihr ganzer Mut verließ sie augenblicklich.
„Fürchte dich nicht. Laß dir Zeit. Mein Leben ist lang.“ Auch diese Feststellung wurde von humorvollen hellen Blitzen begleitet.
Da erlangte sie ihre Fassung wieder.
„Ich verneige mich vor Deiner allmächtigen Göttlichkeit“, sagte sie, wie man es ihr beigebracht hatte. „Ich übertrage mich dem Willen Gottes.“
„Wie heißt du?“
„Man nennt mich Grünäugige Sie, Höchste Heiligkeit.“
„Nun denn, Grünäugige Sie, es ist mein Wille, daß du dein wertvolles Selbst nicht so erniedrigen sollst … Wieviel haben sie dir erzählt? Weißt du, wie deine Arbeit aussehen soll? Hat jemand Gott der Blasphemie bezichtigt? … Unterbrich mich ruhig, wenn du willst. Ich weiß, ich spreche viel zu langsam für euch kleine Heißsporne.“
Wink blinkte schwarz und orange in rascher Folge, sie war verblüfft und fassungslos. „Der Hohepriester hat mir mitgeteilt, Du hättest ihm gesagt, ein Großteil unseres Glaubens würde … nicht ganz dem entsprechen … was wir vermeinten. Er sagte mir, Du wolltest Dich mit einer jungen Person unterhalten, weil keiner der alten Diener Dir recht sei. Sie brachten mir die Gottessprache so rasch bei, wie mein armer schwacher Verstand sie erlernen konnte. Nun bin ich hier, doch ich lerne immer noch.“
„Ich vermute, sie haben dich gehetzt, obwohl das nicht nötig gewesen wäre. Auf eine eurer kurzen Generationen mehr oder weniger kommt es mir nicht an.
Nun möchte ich gerne den Sachverhalt etwas klären. Ich möchte, daß du meine Botschafterin bei deinem Volk wirst. Ich wollte eine junge, neue Person, denn mir ist aufgefallen, daß dein Volk Schwierigkeiten hat, Ungewöhnliches zu lernen, sobald einmal die Mitte des Lebens überschritten ist. Ich wollte eine intelligente Person, da vieles von dem, was ich dir erzählen möchte, schwer zu begreifen sein wird, doch du mußt imstande sein, es auch den Rückständigsten deines Volkes so zu erklären, daß sie es akzeptieren können. Schlußendlich wollte ich noch eine Sängerin, da ich euren Liedern gerne zusehe. Und da ich oft einsam bin, wird es Teil deiner Pflichten sein, mich zu unterhalten.
Die Regeln lauten folgendermaßen: Ich werde sprechen, du wirst zusehen. Doch da ich so langsam spreche, erteile ich dir hiermit die Erlaubnis, dazwischenzufunken, wann immer es dir gefällt. Du kannst ganze Antwortsätze zwischen zwei meiner Worte pressen. Und wenn du erraten kannst, was ich sagen möchte, dann zeige es mir. Ich werde dir dann mitteilen, ob du recht oder unrecht hast, und dann können wir fortfahren. Damit können wir viel Zeit sparen. Stimmst du zu?“
„Ob ich zustimme? Selbstverständlich, Gott. Gottes Wille geschehe.“
„Dabei fällt mir ein: Ich nehme an, dein Hohepriester hat dir dieses Gottbrimborium beigebracht?“
„… Daß Du … seltsame und wundersame Dinge gesagt hast, ja.“
„Hier ist die Wahrheit: Ich bin kein Gott, wenigstens nicht im Sinne eines Schöpfers und Beherrschers des Lebens oder der natürlichen Phänomene in der Welt. Ich beherrsche nichts und habe wenig vollbracht. Ich bin alt, doch verglichen mit dem jüngsten der Berge bin ich nur ein Winzling. Ich bin stark, doch ich fürchte mich ebenso wie du vor der Sonne, und ich kann mich nicht mehr sehr weit aus dem Wasser erheben. Ich bin groß, doch verglichen mit einem meiner Feinde, der im Großen Ozean lebt, bin ich nur ein
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