Anansi Boys
Teil von ihm zu werden. Lebendige Dinge haben ein Gedächtnis.
Das wilde Licht des Netzes leuchtete vor seinen Augen. Charlie brauchte nichts weiter zu tun, als ihm zu folgen …
Er folgte ih m , und die Leuchtkäfer scharten sich um ihn und reisten m it.
»He«, sagte er. »Ich bin’s.«
Spider machte ein kleines, fürchterliches Geräusch.
Im Schimmern des Leuchtkäf e rlichts bot Spider einen schrecklichen Anblick: Er wirkte gehetzt und geschunden. Er hatte Narben im G e sicht und auf der Brust.
»Ich schätze mal, das hier gehört dir«, sagte Charlie. Spider nahm die Zunge m it einer übertriebenen Dankesgeste von seinem Bruder entgege n , steckte sie sich in d e n Mund, drückte und hielt sie fest. Charlie schaute zu und wartete. Bald schon schien Spider zufrieden er bewegte versuchsweise seinen Mund, d r ückte die Zunge ma l in die eine, dann in die andere Wange, als treffe er Vorbereitungen, sich seinen nicht vorh a ndenen Schnauzbart abzurasieren, riss den Mund weit auf, wackelte und wedelte m it der Zunge. Er machte den Mund wieder zu und erhob sich. Mit einer Stimme, die an den Ränd e rn noch ein bisschen zittrig war, s a gte er schlie ß lich: »Hübscher Hut.«
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ROS1E GELANGTE als erste ans Ende der Treppe und drückte d i e Weinkellertür auf. Sie stolperte ins Haus. Sie warte t e, bis ihre Mutter ihr fo lg te, dann schlug sie d i e Kellertür zu und verriegelte sie. Offenbar war der Strom hier draußen ausgefallen, aber ein fast voller Mond stand hoch am Himmel, und nach der Dunk e lheit des Kellers wirkte der bleiche Mondschein, der durch die Küchenfenster fiel, wie S c he i n werferlicht.
Dunkel war’s, der Mond schien helle, dachte Rosie, schneebe d eckt die g r üne Flur…
»Ruf die Polizei an«, sagte ihre Mutter.
»Wo ist das Telefon?«
»Woher zum Teufel soll ich w i ssen, wo das Telefon ist? Er ist noch immer da unten.«
»Okay.« Rosie fragte sich, ob sie das Telefon suchen sollte, um die Polizei zu rufen, oder ob sie nicht lieber sofort aus dem Haus verschwinden sol l ten, aber bevor sie noch zu einem Entschluss gel a ngen konnte, hatten sich alle Überlegungen bereits erübrigt.
Es gab ein Krachen, so lau t , dass es den Ohren wehtat, und die Tür zum Keller flog auf.
Der Schatten kam aus dem Keller heraus.
Er war real. Sie wusste, dass er wirklich und echt war. Sie versuchte ihn i n s Auge zu fassen. Aber es war un m öglich: Es war der Schatten einer großen Katze, struppig und gewaltig groß. Seltsa me rweise aber w u rde der Schatten, wenn das Mondlicht ihn berührte, noch dunkler. Rosie konnte seine Augen nicht sehen, aber sie wusste, dass er sie ansah und dass er hungrig war.
Er würde sie töten. Das sollte dann also das Ende sein. Ihre Mutter sagte: »Er hat es auf dich abgesehen, Rosie.«
»Ich weiß.«
Rosie griff nach dem nächstbesten größeren Gegenstand, einem Holzblock, in dem ein m al Mes s er gesteckt hatten, warf ihn m it aller Kraft nach dem Schatten und l i ef dann, ohne abzuwarten, ob sie getroffen hat t e, so schnell sie konnte aus der Küche in die Diele. Sie wusste, wo die Haustür war …
Etwas Dunkles, etwas Vierfüßiges, bewegte sich noch schneller: Es machte einen S a tz über ihren Kopf hinweg und lande t e fast geräuschlos vor ihr.
Rosie w i ch zurück, stieß an die Wand. Ihr Mund war staubtrocken.
Das Untier war jetzt zwisc h en ihr und der Haustür, und es stapfte langsam auf Rosie z u , als habe es alle Zeit der Welt.
In diesem Moment kam ihre Mutter aus der Küche geschossen, rannte an Rosie vo r bei, tobte schwankend, m it wild fuchtelnden Armen, du r ch den m ondhellen Flur auf den großen Schatten zu. Mit ihren dünnen Fäusten schlug sie dem Ding in die Rippen. Es folgte eine Pause, so als würde die Welt kurz den Atem anhalten, und dann stürzte es sich auf sie. Rasche, v e rwischte Bewegungen, und dann lag Rosies Mutter auf dem Roden, während der Schatten sie schüttelte wie ein Hund, d e r eine Stoffpuppe zwischen den Zähnen hat.
Die Türklingel läutete.
Rosie wollte für Hilfe sorge n , aber sie konnte nur schreien, laut und unablässig. Rosie konnte, wenn sie unerwartet m it einer Spinne in der Rade w anne konfrontiert wurde, ohne Weiteres schreien wie e i ne Horrorfil m -Schauspielerin bei ihrer ersten Begegnung m it einem Mann im Gummianzug. Jetzt befand sie sich in e i nem dunk l en Haus, in dem sich ein schattenhafter Tig e r und ein potenzieller Serien m ö rder aufhielten, und eine
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