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Anarchy in the UKR

Anarchy in the UKR

Titel: Anarchy in the UKR Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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gewesen, und Gott, der Herr, sprach zu ihm nur über das Morsealphabet. Im Sommer mußten wir mit ihm ins Wehrlager.
    Bevor es losging, versuchten wir, uns zu drücken. Wir kannten einen Laboranten in der Poliklinik, und der schrieb uns allen Bescheinigungen, in denen er von Hand festhielt, daß wir für die Teilnahme an einem Militärlager nicht geeignet seien und deshalb einer Generalamnestie unterlägen, irgendwie so, mit anderen Worten, nicht vollkommen aus der Luft gegriffen, das Ganze wurde mit dem dreieckigen Stempel der Poliklinik und seiner Unterschrift bekräftigt – »Laborant Zhukow« unterschrieb er kalligraphisch in der rechten unteren Ecke. Wir legten dem Hauptmann unsere Bescheinigungen vor, der sich erst mal klarmachen mußte, daß die Klasse zur Hälfte aus Invaliden bestand, schweigend sammelte er die Papiere ein, und nachdem er uns erklärt hatte, was er damit zu tun gedachte, erteilte er uns den Befehl, uns für das Wehrlager fertig zu machen. In diesem Sommer fielen wir nicht unter die Amnestie.
     
    Wir wurden in Autos verfrachtet und in das Lager gebracht. Es befand sich außerhalb der Stadt, in den Feldern, auf dem Gelände einer Berufsschule, es war eine richtige kleine Stadt, mit einem Traktorenpark, einem Fußballplatz, Lehrgebäuden, einer Mensa und einem Wohnheim. Im Sommer wurden die Berufsschüler hier rausgesetzt, sie verschwanden in der Steppe und kamen erst im September zurück. Die Wohnheime waren leer, der Fußballplatz wucherte zu, aus dem Traktorenpark klauten die Kolchosbauern den Sprit.
    Wir wurden abgeladen und auf den Asphaltplatz gekippt. Hauptmann Kobylko befahl uns, die Quartiere zu beziehen, funkelte düster mit seiner dicken Brille und verschwand im Stab.
    Als er am Abend aus dem Stab zurückkehrte, war er total zu und blieb es für den Rest der Zeit, er bekam dadurch eine besondere Entschlossenheit als Kommandeur und wir zusätzliche Probleme mit unserem Arsch. Gleich in der ersten Nacht nahmen wir uns einen Klassenkameraden vor. Er war Einser-Schüler, in der Schule fanden wir ihn im Prinzip okay, aber merkwürdig, kaum fanden wir uns in diesen ungewohnten Verhältnissen wieder, kam uns unvermittelt das letzte bißchen Anstand abhanden, das man in Friedenszeiten nicht aufgeben sollte. Zuerst erledigten wir den Streber, dann war das Mobiliar an der Reihe, wir dachten gar nicht daran, aufzuhören. Da erschien der Hauptmann, nahm verschwommen wahr, was abging, und jagte uns alle, bis auf den verprügelten Streber natürlich, raus auf den Platz. So, ihr Idioten, sagte er schneidend, wir wollen also nicht schlafen? Gut, sagte er, obwohl daran überhaupt nichts gut war. Dann werden wir also unter Kampfbedingungen trainieren. Gasmasken holen! Mißmutig gingen wir die Gasmasken holen. Hauptmann Kobylko stand in der Mitte des Platzes, entschlossen und besoffen, die Wrangel-Mütze war zur Seite gerutscht, deshalb hatte auch er Schlagseite. Gasmasken auf, Arschlöcher! befahl er mit Liquidatorenstimme. Gehorsam begannen wir, die Gasmasken anzulegen. Atompilz von rechts! rief der Hauptmann, und wir warfen uns auf den Asphalt. Entwarnung, sagte er zufrieden, und wir standen auf. Atompilz von rechts! wiederholte er, und wir schmissen uns wieder auf den Asphalt, klirrend, wie Kugeln aus dem Lager rollen. Was soll ich sagen? Dieser Arsch malträtierte uns eine gute Stunde lang auf dem dunklen, nächtlichen Platz, wo außer ihm und uns niemand war, nur unser verprügelter Mitschüler stand verängstigt hinter dem Wohnheimfenster und schaute zu.
    Schließlich kriegte sich der Hauptmann ein, wie ist es, fragte er, wollen wir schlafen? Wir gaben keine Antwort – wir hatten die Gasmasken auf. Gut, lenkte er ein, wir rennen zwanzig Runden um den Platz, mit Gasmaske, mit Gasmaske, hab ich gesagt! und dann ab aufs Zimmer. Wir rannten los. Er stand in der Mitte, und wir rannten mit den Gasmasken um ihn herum wie die Kriegselefanten von Karthago. Irgendwann fiel ich hin und schraubte unbemerkt den Filter vom Schlauch ab. Es atmete sich gleich viel leichter.
    Der Juni war in diesem Jahr warm und sonnig. Jeden Tag wurden wir auf dem Platz geschliffen, dann aßen wir in der Kantine stinkende Pampe, nahmen uns den Streber vor, am Nachmittag wieder Schinderei auf dem Platz; wir trampelten das Gras auf dem Fußballplatz runter und lernten, den Kraftstoff aus den Traktoren abzulassen, um ihn an die Kolchosbauern weiterzuverkaufen. Für das Geld besorgten wir uns Konserven und Tabak. Neun Uhr abends

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