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Anastasija 06 - Widrige Umstände

Anastasija 06 - Widrige Umstände

Titel: Anastasija 06 - Widrige Umstände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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Gordejews Frage zu Kowaljow und Winogradow hatte der Alte gesagt:
    »Weißt du noch, Viktor, ich habe dich mal gebeten, einem Mann bei der polizeilichen Anmeldung zu helfen? Ich war damals schon in Rente, und der Mann kam gerade aus dem Lager zurück. Du hast ihm geholfen, und dafür bin ich dir sehr dankbar. Aber dieser Mann ist dir natürlich noch viel dankbarer. Du musst entschuldigen, ich habe ihm nicht verheimlicht, dass du seine Anmeldung durchgesetzt hast. Und er hat ein gutes Gedächtnis, er weiß Güte zu schätzen. Also, er arbeitet jetzt in einer Bierstube, wo die Fahrer von Dienstwagen oft rumsitzen. Er räumt dort die Gläser ab und spült sie, kurzum, er ist für die Gäste Teil des Inventars. Ich denke, er bekommt dort viel Interessantes zu hören. Ein Fahrer gehört ja für seinen Chef auch zum Inventar, vor ihm geniert man sich nicht sonderlich, seine Stimmung zu zeigen oder die verschiedensten Dinge zu bereden. Geh mal zu ihm, sag, du bist Gordejew, und bestell ihm einen Gruß von mir. Geh hin, mach dir die Mühe. Lohnt sich bestimmt.«
    Es hatte sich wirklich gelohnt. Doch heute ging Gordejew mit einer Frage zu Golubowitsch, die heikel und sensibel war und so vage wie Lichtreflexe auf dem Wasser. Aber wenn er bei Golubowitsch keine Antwort darauf bekam, dachte Gordejew, dann bekam er sie nirgends. Golubowitsch war eine Goldgrube an Informationen, wenngleich die Quellen, aus denen er sie schöpfte, sehr eigenwillig waren. Vor vielen Jahren hatte er Gordejew einmal gefragt:
    »Wenn deine ›Ehemaligen‹ rauskommen, kommen sie dich dann mit einer Flasche Kognak besuchen?«
    »Kommt vor«, hatte er damals lächelnd geantwortet.
    »Siehst du. Wenn nicht, dann würdest du jetzt nicht hier bei mir sitzen und Tee trinken. Denn wenn das nicht so wäre, dann wärst du ein schlechter Kriminalist, und ich wüsste nicht, worüber ich mich mit dir unterhalten sollte. Aber sie kommen, also habe ich dich nicht umsonst ausgebildet und angeleitet. Zu mir kommen sie auch. Nur bin ich schon viel länger bei der Miliz, habe also schon viel mehr Leute gefangen und in den Knast gebracht, darum kriege ich häufiger Besuch. Vorerst jedenfalls. Wenn ich eines Tages in Pension gehe, braucht mich niemand mehr, dann bist du alt und erfahren, dann wirst du häufiger Besuch kriegen als ich.«
    Aber Golubowitsch irrte. Entweder unterschätzte er die Menschen, oder er war wirklich ein herausragender Mensch, jedenfalls besuchten seine »Ehemaligen« ihn auch noch, nachdem er in Pension gegangen war.
    Kaum hatte Gordejew den Klingelknopf gedrückt, öffnete Stepan Ignatjewitsch die Tür. Gordejew gab es einen Stich: Er begriff, wie einsam der Alte war, wie sehr er darauf wartete, dass ihn jemand besuchte, wie sehr er sich über jeden Gast freute, selbst wenn der nicht aus Herzensgüte kam, sondern weil er etwas von ihm wollte.
    »Du warst ja schnell«, knurrte Golubowitsch, seinen Spott verbergend. »Und erzähl mir ja nicht, dass du nichts von mir willst. Ich bin nicht beleidigt. Vielleicht ist es mir sogar lieber, wenn jemand was von mir will, das heißt immerhin, ich werde noch gebraucht, bin noch nützlich. Wenn man mich nur noch aus Mitleid oder aus Edelmut besucht, dann hat mein Leben keinen Sinn mehr, dann bin ich nur noch eine Last.«
    Golubowitsch holte den Teekessel aus der Küche, goss mit allen rituellen Raffinessen Tee auf und schenkte ihn ein.
    »Na los, Viktor, raus mit der Sprache. Spann einen alten Mann nicht auf die Folter.«
    Er wickelte einen Schokoriegel aus, biss ab und war bereit zuzuhören.
    »Stepan Ignatjewitsch, erzählen Sie mir von Auftragsmördern. Ich meine nicht die heutzutage, mit Pistolen und dergleichen, sondern die anderen . . . Sie verstehen schon.«
    »Sieh mal an.« Golubowitsch bewegte nachdenklich die Lippen. »Von denen weiß ich wenig. Kein Wunder. Wenn man von ihnen viel wüsste, gäbe es sie nicht. Sie sind alle auf Unfälle spezialisiert. Sie arbeiten so sauber, dass gegen sie selten mal ein Strafverfahren eingeleitet wird. Darum sucht auch niemand nach ihnen. Und niemand kennt ihre wirklichen Namen. Nur Decknamen.«
    »Sind es viele, was meinen Sie?«
    »Ach wo«, der Alte winkte ab. »Im ganzen Land nicht mehr, als man an seinen Fingern abzählen kann. Erstklassige Profis. Soweit ich weiß, ist einer in Rostow, Deckname: der Burjate. Dann noch einer an der Küste oder in Chabarowsk, der Chirurg. Dann noch, wie heißt er gleich, ja, Cardin, hier in Moskau. In Sotschi sitzt Black. Nicht

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