Anastasija 06 - Widrige Umstände
zu vergessen der Gallier und der Italiener in Petersburg. Mehr fallen mir nicht ein. Vielleicht gibt es noch ein paar, aber insgesamt sind es höchstens ein Dutzend. Das ist sicher.«
»Sind sie eng spezialisiert, oder machen sie alles?«
»Kommt drauf an. Der Burjate zum Beispiel spielt gern mit Technik rum, darum arrangiert er Autounfälle. Das ist sein Steckenpferd. Der Chirurg mag das Meer, Kurorte. Er wird geholt, wenn ein Unfall auf dem Wasser inszeniert werden soll. Es heißt, er sei ein erfahrener Taucher. Der Gallier dagegen, der mag keine Weite, der arbeitet lieber in Häusern und Wohnungen. Von dem Italiener sagt man, er organisiere Lebensmittelvergiftungen. Cardin und der aus Sotschi, richtig, Black, die sind vielseitig, sie handeln je nach Gegebenheit, darum sind sie auch am teuersten.«
»Was meinen Sie, Stepan Ignatjewitsch, wer könnte einen Tod durch Stromschlag inszenieren?«
»Praktisch jeder von ihnen. Bis auf den Chirurgen vielleicht. Dass sie sich spezialisieren, heißt ja nicht, dass sie nur so und nicht anders vorgehen. Das tun sie meistens, aber nicht immer. Das zum einen. Und zum Zweiten – ich habe dir ja nicht alle genannt. Viktor, ich weiß natürlich mehr als du, aber ich bin auch nicht der liebe Gott. Meine Informationen können ungenau oder unvollständig sein. Sie taugen nur als Orientierung.«
»Ich habe verstanden, Stepan Ignatjewitsch. Ich danke Ihnen.«
Gordejew bemerkte, wie Golubowitschs Wange bei diesen Worten zuckte. »Ich danke Ihnen« hieß, der Besuch war beendet. Er würde wieder allein sein. Nach einem verstohlenen Blick auf die Uhr lächelte Gordejew schuldbewusst.
»Wollen wir noch einen Tee aufsetzen, Stepan Ignatjewitsch? Der hier ist schon kalt.«
»Ja, gern«, erwiderte der Alte freudig und ging in die Küche.
Pawlow saß gemütlich in einem Sessel und verfolgte mit träger Neugier die Intrigen im luxuriösen Haus des schönen Antonio. Der widerliche Max spielte schmutzige Spiele gegen seinen Bruder, Rachel litt, und ihre Verwandten verhielten sich dämlich. Pawlows Frau litt aufrichtig mit den Helden, und als die Serie an der interessantesten Stelle abbrach, schlug sie ärgerlich mit der Faust auf den Tisch.
»Wieder bis morgen warten! Was meinst du, wie endet das Ganze?«
»Hör auf.« Pawlow winkte ab. »Man kann doch diesen Quatsch nicht ernst nehmen.«
»Das ist kein Quatsch, Sascha, der Film ist sehr wahr.«
Seine Frau wurde wütend. »Natürlich ist das keine hohe Kunst, das bestreitet keiner. Aber solche Filme zeigen den Menschen, wie man sich in moralisch schwierigen Situationen verhalten muss. Sie vermitteln eine einfache Wahrheit: Wenn du jemanden liebst, dann halte deinen Geliebten nicht für dümmer als dich selbst.«
»So, so.« Pawlow bekundete Interesse. »Red weiter.«
»Spar dir deine Ironie. Warum hat Rachel den ganzen Ärger? Weil sie Angst hat, Antonio die Wahrheit zu sagen, weil sie glaubt, er würde sie falsch verstehen. Sie ist so klug und scharfsichtig, nicht wahr, dass sie von vornherein weiß, wer was von ihr denken wird, obwohl sie selbst in einer ähnlichen Situation ganz anders denken würde. Das heißt, sich selbst gesteht sie Güte und Edelmut zu, ihrem Mann dagegen nicht. Und das ist falsch. Dieser Film erklärt uns, dass das falsch ist. Man sollte bei der Beurteilung von anderen immer von sich selbst ausgehen, nicht von sonst woher geholten Ideen. Nicht umsonst heißt es in der Bibel: Denn mit welcherlei Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch gemessen werden.«
»Es heißt aber auch«, sagte Pawlow und reckte sich, »alle Menschen sind verschieden, und über Geschmack lässt sich nicht streiten.«
»Aber Sascha, das ist doch etwas ganz anderes«, entrüstete sich seine Frau. »Ich rede davon, dass man jemanden, den man achtet, nicht für dümmer halten sollte als sich selbst. Ist das so schwer zu verstehen?«
»Ich verstehe, ich verstehe«, besänftigte Pawlow sie. »Ich gehe rasch mit dem Hund raus, bevor die Nachrichten anfangen.«
Er nahm die Leine des weißen, rotäugigen Bullterriers und ging hinaus. Gemächlich lief er in der kühlen Dämmerung durch den Park und überließ sich seinen Gedanken, sodass er die eiligen Schritte hinter sich nicht gleich wahrnahm.
»Alexander Jewgenjewitsch!«
Erstaunt erkannte Pawlow die Stimme der Lebedewa.
»Wo kommen Sie denn her, Larissa? Was machen Sie hier?«
»Ich suche Sie.« Die Lebedewa stockte. »Ich war
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