Anastasija 06 - Widrige Umstände
»Als ich noch im operativen Dienst war, habe ich mir von meinem Mann allerhand anhören müssen. Dann habe ich begriffen, dass die Ehe mit einem Kriminalisten ein Beruf ist, dem bei weitem nicht jeder gewachsen ist. Eure Arbeit ist schmutzig, ja, ja, schmutzig, sie beruht auf Täuschung, Misstrauen, List und Kompromissen. Ganz zwangsläufig, denn wer geht schon mit aufgeklapptem Visier Verbrecher jagen. Aber deshalb braucht ihr ganz besondere Frauen, solche, die euch helfen, diesen ganzen Schmutz nicht mit ins Bett zu nehmen.«
Nach dem entscheidenden Gespräch zwischen Nastja und Pawlow im Restaurant observierten Gordejew und Sacharow mit vereinten Kräften die Wohnung, in der sich Nastja alias Larissa Lebedewa aufhielt, sowie Pawlow. Nastja rief gewissenhaft jeden Tag im Ministerium an und erkundigte sich mit der Stimme der Lebedewa höflich, ob Alexander Jewgenjewitsch sich ihr Angebot überlegt habe. Das hatte er nicht, dennoch traf er sich eines Abends mit einem dunkelhäutigen Brillenträger. Als Korotkow ein Foto dieser Begegnung vorgelegt wurde, erinnerte er sich, dass er den Mann auf der Beerdigung der Filatowa gesehen hatte. Ihn zu identifizieren war kein Problem, er versteckte sich nicht und verheimlichte niemandem, wer er war.
In der Nähe des Hauses, in dem sich Nastja aufhielt, wurden keine fremden Beobachter bemerkt. Als bis zum Ablauf der Woche nur noch zwei Tage blieben, ließen alle den Kopf hängen. Die Falle schien nicht zuschlagen zu wollen. Pawlow hatte keine Möglichkeit, die Adresse der Lebedewa herauszufinden, es sei denn, einer seiner Leute hätte sich nach dem Restaurant an sie gehängt. Selujanow, der für die Strecke »Restaurant – Wohnung« zuständig war, hätte seinen Kopf darauf verwettet, dass niemand die Lebedewa beschattet hatte; und in solchen Dingen war er zuverlässig. Wenn Pawlow nach dem von Gordejew entworfenen Plan vorgehen würde, müsste er dem Mörder die Erpresserin zeigen. Anders konnte der sie nicht finden. Und diese Demonstration wäre das Signal: Der Gallier ist in Moskau. Der Rest war rein technischer Natur: unter den zahlreichen Menschen, die sich in diesem Augenblick in der Nähe der »Vorführung« befanden, den Gallier herauszufinden. Doch das sah nur auf den ersten Blick einfach aus. Sie hätten keine Ahnung, wie die Kontaktaufnahme und die Bestellung eines Auftragskillers organisiert war. Niemand konnte garantieren, dass der Vollstrecker selbst Adresse und Identität des Opfers überprüfen würde und nicht spezielle Helfer, die für den Maestro die Drecksarbeit erledigten. Wenn sie es überstürzten, irrten sie sich womöglich und nahmen den Falschen fest, während der wirkliche Mörder verschwand, sich auflöste wie ein Gespenst im Morgengrauen. Und ein zweites Mal würde er sich nicht hervorlocken lassen.
Genau darauf bezog sich Gordejews Idee, die Nastja erraten hatte. Hätten sie Pawlow Larissas Adresse gesteckt, hätten sie ihm die Aufgabe erleichtert. Aber Gordejew wollte sehen, wie die Suche nach der rothaarigen Journalistin laufen würde. Ihn interessierte, ob es in diesem raffinierten System eine Arbeitsteilung gab und wer welche Arbeiten erledigte. Selbst wenn sie den Mörder nicht bekommen würden, wäre die Operation nicht umsonst gewesen, sie bekämen neue Informationen über eine kriminelle Sphäre, mit der sie nie direkt zu tun hatten. Und dieses Wissen wäre später sehr nützlich. Das sagte Gordejew natürlich nicht laut, um den Eifer seiner Männer nicht zu dämpfen und sich nicht zum Gespött seiner Feinde zu machen: Der spinnt ja, eine Aktion zu Forschungszwecken! Da lachen ja die Hühner! Aber tief im Innern wusste Gordejew, dass diese Erkenntnisaufgabe nicht weniger wichtig war, als den Gallier zu stellen. Bevor man jemandem den Krieg erklärte, musste man seinen Feind genau kennen -diese Binsenweisheit hatten viele vergessen. Es gab nur eine Person, die Gordejew verstehen konnte. Nur ihr, Nastenka, wäre die Information über das System der elitären Auftragskiller wichtiger, selbst wenn sie dabei riskierten, dass ihnen der Mörder der Filatowa entkam. Nur sie konnte so weit vorausblicken wie Oberst Gordejew selbst.
Am sechsten Tag war Pawlow noch immer nicht reif.
»Morgen rufe ich Sie zum letzten Mal an, Alexander Jewgenjewitsch, denken Sie daran. Ich habe ungern mit Menschen zu tun, die Angst haben, aber noch mehr missfallen mir Unentschlossene. Sie haben mir eine Woche gestohlen, die ich sinnvoller hätte verbringen
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