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Anastasija 06 - Widrige Umstände

Anastasija 06 - Widrige Umstände

Titel: Anastasija 06 - Widrige Umstände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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hatte er damals entschieden, wenn er nicht fünfzehn erfahrene Kriminalisten haben konnte, wollte er fünfzehn begabte Leute, deren Talente auf verschiedenen Gebieten lagen. Was zusammen einen guten Profi ergeben würde.
    Oberst Gordejew hatte nichts übrig für das Wort universell. Für ihn war es keinen Pfifferling wert, alles Universelle empfand er als Betrug. Er war zutiefst überzeugt, dass nicht derjenige ein guter Chef war, bei dem alle gleich gut arbeiteten, sondern derjenige, bei dem jeder das machte, was er am besten konnte, zum Nutzen der gemeinsamen Sache. Für diese Losung war er damals beschimpft und schikaniert worden, aber Gordejew war wie ein Gummiball: Je heftiger man auf ihn einschlug, desto höher sprang er. Alle Mitarbeiter, die er persönlich ausgesucht hatte, hatten eine gute Schule und zusätzlich ein bestimmtes Talent, das der ganzen Abteilung nützte. Kolja Selujanow zum Beispiel verfügte über ein phantastisches visuelles Gedächtnis, er behielt Gesichter und Routen viele Jahre. Außerdem hatte er als Kind Städtebauer werden wollen (ja, Städtebauer, nicht Architekt), und kannte Moskau wie seine Westentasche, jeden Winkel, jeden Durchgangshof. Mischa Dozenko war, wie alle anerkannten, unersetzlich für die Arbeit mit Zeugen, besonders, wenn jemand dazu gebracht werden musste, sich an etwas zu erinnern oder das, was er glaubte gesehen zu haben, vom tatsächlich Gesehenen zu trennen. Wolodja Larzew war studierter Psychologe, die Kriminalistik hatte er sich in der Praxis angeeignet.
    Durch sein eigenwilliges Vorgehen bei der Zusammenstellung seiner Abteilung lernte Gordejew, wie er es nannte, »unter den Bedingungen des Rechtsstaats zu leben«. Das bedeutete, Verbrecher zu fangen ohne die bewährten alten Methoden, zu denen unter anderem physische Gewalt gehörte sowie das Einsperren in eine Gefängniszelle, dessen einschüchternde Wirkung wohl bekannt ist. Ohne diese Methoden war die Arbeit unerhört schwer, aber dafür kamen Gordejews Männer bestens mit den Staatsanwälten und Untersuchungsführern aus, die nichts an ihnen aussetzen konnten. Gordejew wusste, dass viele ihn lächerlich fanden, dass seine Bemühungen Ärger und Unverständnis auslösten. Er wusste, dass er der rothaarige Clown in der Manege war, den man nur deshalb in Ruhe ließ, weil er seltsamerweise gute Ergebnisse erzielte und eine hohe Aufklärungsrate. Diese Haltung kränkte ihn, und er erlebte häufig Minuten tiefer Demütigung und Verzweiflung. Aber er war überzeugt, dass die Richtigkeit seiner Ideen sich eines Tages bestätigen würde. Wenn auch vielleicht erst in drei Jahren oder in fünf oder gar zehn, aber seine Jungs, seine Mitarbeiter, die er so liebevoll und sorgfältig auswählte, würden gute Arbeit leisten und nicht das Gesicht verlieren, wenn jeder Verdächtige auf Schritt und Tritt von einem Anwalt begleitet wurde. Wenn sie nur durchhielten, wenn sie nur nicht auseinander liefen, wie Dorman es prophezeite. Noch ein, zwei Jahre, und er konnte die Abteilung seinem Stellvertreter überlassen. Wenn sie nur die Geduld hatten, das Ende der jetzigen Durststrecke voll Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit abzuwarten. Sie brauchten noch etwas Zeit zum Lernen.
    Qualvoll war diese Woche auch für Jura Korotkow, der sich vergeblich bemühte, seine Emotionen mit der Realität in Einklang zu bringen. Das gelang ihm bislang schlecht. Der zehnte Juli rückte jeden Tag näher, immer schneller, doch das Feuer, das in seiner Seele tobte, ließ sich nicht löschen. Jura war bis über beide Ohren verliebt und konnte nichts dagegen tun. Dabei war Ljudmila Semjonowa nicht seine erste Affäre in den Jahren seiner Ehe, aber früher war das Ganze immer ohne diesen Nebel im Kopf abgegangen. Aus Büchern und Filmen hatte er die feste Überzeugung gewonnen, dass Liebe und Verzauberung verschiedene Dinge waren, dass die Verzauberung früher oder später verging, man musste nur Geduld haben und sich bemühen, in dieser Zeit nicht allzu viele Dummheiten zu machen. Doch in der Praxis war es gar nicht so leicht, gegen die Verzauberung anzukämpfen. Und das musste ausgerechnet jetzt passieren, da sie an einem so schwierigen Fall arbeiteten! Jura glitt alles aus den Händen.
    Wenn sich Ljudmila noch irgendwie anders verhalten würde, Streit provozieren oder zumindest Missstimmungen, Unzufriedenheit demonstrieren! Aber nein. Sie war genau die Frau, von der jeder Detektiv insgeheim träumte.
    »Ich war nicht immer so«, sagte sie zu Korotkow.

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