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Anastasija 06 - Widrige Umstände

Anastasija 06 - Widrige Umstände

Titel: Anastasija 06 - Widrige Umstände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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Toilette nahm Nastja eine Ampulle mit Salmiakgeist aus der Tasche, öffnete sie rasch, befeuchtete ein Taschentuch großzügig mit der Flüssigkeit und presste es sich auf Stirn und Schläfen. Der scharfe Geruch verbreitete sich im ganzen Raum.
    Sie setzte sich auf einen Hocker und schloss die Augen. Verdammter Kreislauf! Nicht gesund, aber unbedingt Detektiv werden wollen! Sie sollte zu Hause sitzen, Nachhilfestunden geben, Sitzenbleibern Mathe oder Fremdsprachen eintrichtern. Das brachte Geld und war unstressig.
    »Alles in Ordnung?«, fragte eine leise Stimme direkt neben ihrem Ohr.
    Nastja öffnete die Augen und erblickte eine hübsche Brünette in einem schillernden Kleid und extravaganten Leggins – der letzte Schrei!
    »Ist mit Ihnen alles in Ordnung?«, wiederholte die Brünette.
    »Ein bisschen schwindlig«, murmelte Nastja.
    »Brauchen Sie Hilfe?«
    »Nein, danke. Salmiakgeist hilft mir. Ich bleibe noch ein bisschen sitzen, dann geht’s wieder.«
    Die Brünette lächelte sanft.
    »Wenn du willst, gebe ich dir eine Spritze, Glukose und ein Kreislaufstimulans. Ich habe eine ganze Apotheke in der Tasche.«
    »Ein andermal.«
    Nastja versuchte, das Lächeln zu erwidern, aber die Lippen gehorchten ihr nicht.
    »He, Mädchen«, sagte die Frau beunruhigt, »du bist ja leichenblass. So geht das nicht. Gib mir deinen Arm.«
    Nastja hielt ihr folgsam den Arm hin. Mit beängstigender Klarheit ging ihr auf, dass der Gallier, wenn er sie jetzt sofort erledigen wollte, sich gar keine bessere Gelegenheit wünschen konnte. Ein bisschen Luft in die Spritze, dann in die Vene, von dort ins Herz, und Feierabend. Man würde sie auf der Frauentoilette finden, neben ihr eine Spritze mit einem Kreislaufmittel. Schlichte Nachlässigkeit, niemand war daran schuld.
    Die Frau hatte inzwischen eine Einwegspritze ausgepackt und zwei Ampullen aufgezogen. In der einen Hand die Spritze, band sie mit der anderen den Arm ab und desinfizierte geschickt die Einstichstelle. Nastja schloss die Augen. Ihr war so schlecht, dass sie nicht einmal die Kraft hatte, sich zu fürchten. Was ist heute bloß mit mir los, dachte sie träge. Einen so heftigen Anfall hatte sie bisher erst einmal gehabt, damals hatte der Notarztwagen sie von der Straße aufgesammelt. Bevor die Nadel in ihre Vene eindrang, dachte sie noch: Das ist nicht der Gallier. Er braucht das Manuskript, und er weiß nicht, wo ich wohne. Oder doch? Der Kolben glitt nach unten. Die Frau beugte sich über Nastja, ihr Gesicht war ganz nah.
    »Noch ein bisschen Geduld, meine Liebe«, flüsterte die Brünette, »in fünf Minuten bist du wieder wie neu.«
    Sie zog die Nadel heraus, packte die Spritze ordentlich in die aufgerissene Tüte zurück, steckte auch die leeren Ampullen hinein und legte das alles in Nastjas Handtasche.
    »Hörst du mich, Rotschopf? Ich habe alles in deine Handtasche gelegt. Falls dein Kavalier den Einstich bemerkt, kannst du ihm das zeigen. Du bist nämlich ziemlich lange auf dem Klo, er wird vielleicht schon nervös.«
    »Danke.«
    Nastja spürte deutlich, wie sie wieder zu Kräften kam. Vielleicht könnte sie sogar schon aufstehen.
    »Da hatte ich aber Glück mit Ihnen. Ohne Sie wäre ich hier umgekippt«, sagte sie dankbar.
    »Sie haben nicht mit mir Glück, sondern mit Ihrem Chef. Klar, Rotschopf?« Die Brünette lachte. »Also, ich gehe dann.«
    Der Gallier stand auf der Straße und beobachtete durch die Glastür, wie die Frau, die den Auftraggeber begleitete, den Saal verließ und in der Damentoilette verschwand. Nach zwei, drei Minuten folgte ihr eine attraktive, auffällige Brünette, die bis dahin mit einem Mann rauchend im Foyer gestanden hatte. Der Gallier fand, der Mann hätte eine Verbrechervisage, deshalb identifizierte er die Frau im schillernden Kleid als billige Restaurantnutte.
    Die Brünette kam als Erste von der Toilette, nahm die Verbrechervisage am Arm und verließ mit ihm das Restaurant. Ganz in der Nähe des Galliers blieb das Pärchen stehen. Der Bursche zog die Frau mit einer vulgären Geste an sich.
    »Na, und?«
    »Fehlanzeige. Da war nichts zu holen.«
    »Was macht sie denn dann so lange da drin?«
    »Ein Kreislaufkollaps. Sie war ganz blass, ein furchtbarer Anblick. Na ja, der Abend ist ja noch jung. In ein paar Stunden kommen scharenweise Kunden. War übrigens meine eigene Dummheit. Ich hätte mir gleich denken müssen, dass die nichts nimmt.«
    »Wieso?«
    »Der Typ, mit dem sie da ist, das ist Oberst Pawlow aus dem Innenministerium.

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