Anastasija 06 - Widrige Umstände
können.«
Pawlow schwankte.
»Vielleicht kann ich Sie morgen, als Entschädigung für die verlorene Zeit, zum Essen einladen? Unabhängig davon, wie meine Entscheidung ausfällt.«
»O nein!« Larissa lachte kalt. »Das Essen findet nur statt, wenn Sie einverstanden sind. Ich habe ohnehin schon viel zu viel Zeit mit Ihnen verloren.«
»Gut.« Pawlows Stimme klang urplötzlich fest. »Gehen Sie davon aus, dass ich mich entschieden habe. Ich erwarte Sie morgen um drei vor dem Jelissejew-Laden.«
»Um fünf«, schnurrte Larissa zufrieden. »Um zwei habe ich einen Termin beim Friseur, drei schaffe ich nicht.«
»Schön, also um fünf. Bis morgen.«
Nastja legte behutsam den Hörer auf und blickte nachdenklich das Telefon an. War der Mörder etwa gekommen?
Zehntes Kapitel
Er war tatsächlich gekommen. Und hatte vom ersten Augenblick an ein ungutes Gefühl. Diesmal lief alles anders als gewohnt. Es gab kein vorheriges Treffen, bei dem der Vorschuss übergeben und der Auftrag klar formuliert wurde. Nur eine Telefonnummer, die er an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Uhrzeit anrufen sollte. Der Gallier rief an. Der Mann, mit dem er sprach, hatte einen arroganten Befehlston. Adresse und Namen wisse er nicht, er könne ihm die Person nur zeigen. Der Gallier wollte protestieren: Auf solche Bedingungen könne er sich nicht einlassen. Er arbeite im Alleingang, ohne Helfer, und alles selbst zu machen sei gefährlich. Da brüllte der hochmütige Auftraggeber ihn an, er, der Gallier, liefere überhaupt keine anständige Arbeit, wegen der letzten Geschichte laufe ein Ermittlungsverfahren, die Miliz habe eine Beschreibung von ihm, und er markiere hier den großen Macker. Er solle gefälligst tun, was man ihm sage, dafür werde er bezahlt. Er müsse das Mädchen finden und aus dem Weg räumen. Und ihr unbedingt das vierte Exemplar des Manuskripts abnehmen, das er beim letzten Mal nicht gefunden habe. Er habe wohl nicht gut genug gesucht. »Oder hast du es vielleicht doch gefunden? Wie? Und willst jetzt zusammen mit dem Mädchen Geld aus mir rausholen? Ich habe das bisher noch niemandem gesagt, aber ich habe dich stark in Verdacht. Wenn du mir Bedingungen diktieren willst, dann sage ich den richtigen Leuten, dass du dir Eigenmächtigkeiten erlaubst und alle in Gefahr bringst. Außerdem arbeitest du ziemlich unsauber. Also zick nicht so rum, bügle lieber deine Fehler wieder aus.«
Diese Wendung überraschte den Gallier.
»Das muss ein Missverständnis sein«, sagte er ganz ruhig.
»Also, Folgendes«, sagte sein Gesprächspartner etwas milder, »ich werde morgen von sieben Uhr dreißig bis acht Uhr mit meinem Hund im Park vor der Metrostation Krasnyje Worota‹ spazieren gehen. Da wirst du mich sehen. Um fünf treffe ich mich mit ihr vor dem Jelissejew-Laden, danach gehe ich mit ihr essen. Der Rest ist dein Problem. Wenn du so weit bist, ruf mich unter derselben Nummer wieder an, dann reden wir über den Vorschuss. Das war’s.«
Wut schnürte dem Gallier die Kehle zu. Er hatte sich noch nie von jemandem so anschreien, sich noch nie einen so unverschämten Ton bieten lassen. Alles brach zusammen, nun saßen sogar ganz oben schon solche Funktionärsärsche. Früher waren die Auftraggeber selbstbewusste Männer gewesen, ruhig und wortkarg, nicht solche Hysteriker. Aber die Emotionen mal beiseite gelassen, was hatte er ihm vorgeworfen? Unprofessionelle Arbeit. Diesen Vorwurf fegte der Gallier umgehend vom Tisch. Er begriff, dass er an einen Mann geraten war, der sein Leben lang Vorgesetzter gewesen war. Diese Methode, Untergebene unter Druck zu setzen, kannte er gut. Nein, der Gallier war sich sicher. Er erinnerte sich noch genau an seine Überlegungen bei der letzten Sache. Er hatte die Wohnung in der Nacht vom Freitag zum Samstag verlassen. Die Filatowa hätte erst am Montag wieder zur Arbeit gemusst, aber am Montag hätte man sie noch nicht vermisst, man hätte geglaubt, sie mache einen Tag frei, das war bei wissenschaftlichen Mitarbeitern gang und gäbe. In ihre Wohnung wäre frühestens am Dienstag jemand gekommen, und bis dahin wären alle Spuren verschwunden gewesen. Er erinnerte sich, dass er die Lüftungsfenster offen gelassen hatte. Ihr Liebhaber wäre sicher auch nicht aufgetaucht – da sie nicht ans Telefon ging, war sie wohl noch nicht zurück. Warum die Ermittlung? Es musste einen Grund dafür geben, aber er, der Gallier, trug daran keine Schuld. Vielleicht lag es am Auftraggeber? Vielleicht hatte die
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