Anathem: Roman
Phototypie. Nachdem er ein paar Sekunden lang an dem Gerät herumhantiert hatte, zeigte er mir, was auf dessen Display erschienen war: ein anderes Bild von demselben Loch. Nur dass es jetzt ein Livebild aus dem Retikulum war.
»Du hast es gefunden«, sagte ich, denn ich wollte nichts überstürzen und sicherstellen, dass ich verstand, was da vor sich ging.
»Ein syntaktisches Programm aus dem Retikulum hat es gefunden«, verbesserte er mich. »Es scheint doch weit von hier entfernt zu sein – auf einer Insel im Meer der Meere.«
»Kannst du mir den Namen der Insel nennen?«
»Ekba.«
» Ekba?! «, rief ich aus.
»Gibt es eine Möglichkeit herauszufinden, was das ist?«, fragte Cord.
Sammann zoomte es heran. Doch das war fast nicht mehr nötig. Jetzt, wo ich wusste, dass es auf Ekba lag, hielt ich dieses Loch eher nicht mehr für einen Tagebaubetrieb. Es war eindeutig eine Ausgrabung – rundherum von aufgehäuftem Schutt aus ihrem Inneren
umgeben. Und zu ihrem ebenen Grund führte eine spiralförmige Rampe hinunter. Aber die Ausgrabung war zu ordentlich, zu pedantisch sauber für eine Mine. Ihr flacher Boden war systematisch mit einem Gitter versehen.
»Es ist eine archäologische Ausgrabung«, sagte ich. »Eine riesige.«
»Was gibt es denn auf Ekba auszugraben?«, fragte Cord.
»Ich kann nachschauen«, sagte Sammann und schickte sich schon an, es zu tun.
»Warte! Zoom es weg. Weiter … und noch weiter«, bat ich ihn.
Jetzt konnten wir die Ausgrabungsstätte als blasse Narbe mehrere Meilen süd-südöstlich eines riesigen, alleinstehenden Berges sehen, der sich drohend aus einem gekräuselten Meer erhob. Die oberen Hänge dieses Berges waren schneegefleckt, aber anstelle eines Gipfels hatte er oben eine Mulde: eine Caldera.
»Das ist Orithena«, sagte ich.
»Der Berg?«, fragte Cord.
»Nein. Die Ausgrabungsstätte«, antwortete ich. »Jemand hat den Tempel von Orithena ausgegraben! Er wurde bei einem Vulkanausbruch im Jahr minus 2621 verschüttet.«
»Wer würde das tun, und warum?«, wollte Cord wissen.
Sammann zoomte die Ausgrabungsstätte wieder heran. Jetzt, wo ich wusste, wonach ich suchen musste, konnte ich erkennen, dass rund um die Ausgrabung eine Mauer stand, die an einer Stelle von einem Tor durchbrochen war. Innen hatte man um einen rechteckigen Hof herum mehrere Bauwerke errichtet – ein Klostrum. Aus einem davon spross ein Turm hervor.
»Es ist ein Math«, sagte ich. »Da fällt mir ein, ich habe einmal gehört – vermutlich von Arsibalt -, dass ein Orden nach Ekba gegangen ist und angefangen hat, bis zum Tempel von Orithena hinunter zu graben. Ich hatte sie allerdings für ein paar exzentrische Fraas mit Schaufeln und Schubkarren gehalten.«
»Ich sehe keinerlei schwere Maschinen an der Ausgrabungsstätte«, bemerkte Crade. »Ein paar Leute mit Schaufeln könnten durchaus ein so tiefes Loch graben, wenn sie lange genug dranblieben.«
Das ärgerte mich ein bisschen, denn es hätte mir klar sein müssen; schließlich war unser Mynster in ganz ähnlichem Stil erbaut worden. Aber Crade hatte recht, und ich konnte nichts anderes tun, als so energisch wie möglich zustimmen, damit er seine Erklärung nicht noch fortsetzte.
»Das ist alles sehr interessant«, sagte Sammann, »aber für uns wahrscheinlich eine Sackgasse.«
»Das denke ich auch«, sagte ich. Ekba lag auf einem anderen Kontinent; um genau zu sein, es lag im Meer der Meere, das sich zwischen vier Kontinenten auf der gegenüberliegenden Seite der Welt befand.
»Orolo ist nicht in den Bergen«, verkündete Ganelial Crade, während er sein Nicknack in die Tasche steckte. »Er ist hier durchgekommen und dann weitergereist.«
(In dem Spulo: zwei sehr schöne Menschen, die heirateten)
»Woher weißt du das?«, fragte Sammann. Darüber war ich froh. Crade war so selbstsicher, dass ich es ermüdend fand, ihm auch nur einfache Fragen zu stellen. Sammann dagegen schien es ein teuflisches Vergnügen zu bereiten.
Crade war dem gewachsen. »Bis hierhin wurde er von Leuten aus Samble mitgenommen, die sowieso in diese Richtung fuhren. Die vorletzte Nacht hat er dann, nur ein paar Meilen von hier entfernt, auf der Ladefläche des Hols meines Cousins verbracht.«
»Auf der Ladefläche seines Hols? Hatte dein Cousin denn kein Bett frei?«, fragte Sammann.
»Yulassetar reist viel«, antwortete Crade, »die Ladefläche seines Hols ist schöner als sein Haus.«
»Du sagst, das war vorletzte Nacht?«, fragte ich. »Ich wusste nicht,
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