Anathem: Roman
dass wir auf einer so heißen Spur sind!«
»Sie wird von Minute zu Minute kälter … Yulassetar hat ihm gestern Morgen geholfen, sich auszurüsten, und dann hat Orolo eine Mitfahrgelegenheit in einem nach Norden fahrenden Tromm bekommen.«
»Sich wie auszurüsten?«, fragte Cord.
»Mit warmen Sachen«, sagte Crade. »Den wärmsten Sachen. Damit kennt Yul sich wirklich aus. Er verdient seinen Lebensunterhalt damit. Das war sicher der Grund, weshalb Orolo sich in Norslof gerade an ihn gewandt hat.«
»Warum sollte Orolo immer weiter nach Norden gehen wollen?«, fragte ich. »Da gibt es doch nichts, oder?«
Sammann fummelte an meiner Kartabla herum – die ein größeres Display als sein Nicknack hatte -, zoomte das Bild ganz weit weg und schwenkte es nach Norden und Osten. »Zwischen hier und dem Nordpol praktisch nichts als Taiga, Tundra und Eis. Was wirtschaftliche
Aktivitäten betrifft, gibt es auf den ersten paar hundert Meilen Treibstoffbaumplantagen. Jenseits davon nur noch ein paar Rohstoffabbaulager.«
Das Bild auf der Kartabla schien ihn Lügen zu strafen, denn es war mit einem dichten Netz von Straßen überzogen, die an namentlich bezeichneten Plätzen zusammenkamen, von denen viele von konzentrischen Wegen umgeben waren. Das alles war jedoch in der blassbraunen Farbe dargestellt, mit der Ruinen gekennzeichnet wurden.
(In dem Spulo: Start einer feurigen Rakete aus einem Sumpfgebiet am Äquator)
»Orolo ist unterwegs nach Ekba!«, rief Cord aus.
»Was sagst du da?«, fragte Crade.
»Ekba ist nicht auf diesem Kontinent, da musst du fliegen!«, sagte ich.
»Er geht über den Pol«, erklärte sie. »Er ist auf dem Weg zur Schlittenzugstation auf dreiundachtzig Nord.«
Wir hatten es uns angewöhnt, von der Säkularen Macht zu sprechen, als wäre sie durch die Jahrhunderte hindurch immer dieselbe gewesen. Manchen Extras erschien das naiv, ja sogar beleidigend – obwohl sie im Grunde dasselbe taten, wenn sie von »denen da oben« sprachen. Natürlich wussten wir, dass das eine grobe Vereinfachung war. Aber für uns war es einfach bequem. Ob jenseits unserer Mauern nun zu einem gegebenen Zeitpunkt ein Kaiserreich, eine Republik, ein despotischer oder ein päpstlicher Staat, eine Anarchie oder entvölkerte Ödnis lag, wir konnten dieses Etikett daraufklatschen und gewisse Dinge darüber behaupten.
Diese Ausführungen machen nicht den Versuch darzulegen, wie die Säkulare Macht zu meiner Zeit verfasst war. Solche Informationen kann man woanders bekommen. Es könnte sogar interessant sein, wenn man nichts über die Geschichte der Welt bis zu den Schrecklichen Ereignissen weiß; hat man sie aber studiert, wird einem alles ab diesem Zeitpunkt wie eine Wiederholung erscheinen, und alle Einzelheiten darüber, wie die Säkulare Macht zu meiner Zeit organisiert war, wird einen an mehr oder minder alte Vorgänger erinnern, nur mit weniger Würde und Klarheit, denn die Alten machten es alle zum ersten Mal und glaubten noch, etwas erkannt zu haben.
An dieser Stelle musste ich mich jedoch mit einer dieser Einzelheiten befassen. Zu meiner Zeit war die Säkulare Macht eine Föderation. Sie gliederte sich in politische Einheiten auf, die mehr oder weniger mit Arbres Kontinenten übereinstimmten. Innerhalb der meisten dieser Einheiten konnte man sich frei bewegen, um aber von einer in die andere zu gelangen, brauchte man Dokumente. Die Dokumente waren nicht besonders schwer zu bekommen – es sei denn, man war ein Avot.
Seit der Rekonstitution hatten wir völlig abseits der Rechtsordnung der Säkularen Macht existiert. Sie hatten keine Akten von uns, keine Gerichtsbarkeit über uns, keine Verantwortung für uns; sie konnten uns nicht in ihre Armeen einziehen, keine Steuern von uns erheben, ja außer bei der Apert nicht einmal durch unsere Tore treten. Dementsprechend boten sie uns aber auch keinerlei Unterstützung an, sieht man davon ab, dass sie uns vor direkten Angriffen von Banden oder Armeen schützten, wenn ihnen danach war. Wir bekamen von der Säkularen Macht weder Renten noch medizinische Versorgung – und erst recht keine Ausweispapiere.
Während ich das hier geschrieben habe, ist deutlich geworden, dass es eines Tages von Leuten aus anderen Welten gelesen werden könnte. Daher die Erklärung, dass wir selbst meinten, zehn Kontinente zu haben, dass aber die Cousins und alle anderen, die von außerhalb zu uns gekommen wären und Arbre mit frischem Blick gesehen hätten, der Ansicht gewesen wären,
Weitere Kostenlose Bücher