Anatomie
Gedanke galt natürlich dem Sheriff. Ich glaube immer noch, dass er sich davor fürchtet, wohin die Mordermittlungen führen könnten.«
»War er schon einmal hier?«
»Nein, aber es ist nicht schwierig zu erfahren, wo mein Büro liegt.«
»Ja, aber dieses Wissen ist erst die halbe Miete«, sagte Morgan. »Dieses Büro ist nicht gerade leicht zugänglich. Sie sind ungefähr so weit vom Rest des anthropologischen Instituts entfernt, wie es nur möglich ist, ohne sich ganz unter dem Kunstrasen zu verbuddeln.«
»Macht es leichter, sich zurückzuziehen und zu konzentrieren«, sagte ich defensiv.
»Das soll keine Kritik sein; ich denke nur laut. Gibt es jemanden, der schon mal hier war und der ein Interesse daran haben könnte, das Skelett zu stehlen?«
»Nun, da ist der Deputy des Sheriffs, Leon Williams.«
»Ein Deputy?«, fragte Morgan zweifelnd.
»Ja, und er war schon mal hier. Er hätte es für den Sheriff stehlen können.« Plötzlich erinnerte ich mich an Arts Szenario E, die unbekannte Möglichkeit. »Oder er hat einen anderen Plan, der uns gar nicht in den Sinn kommt. Vielleicht stellt er dem Sheriff auch eine Falle?« Je mehr ich darüber nachdachte, desto sicherer war ich mir, dass es Williams’ Werk war.
»Entschuldigen Sie mich«, sagte Morgan zu dem Campuspolizisten, fasste mich am Ellenbogen und führte mich ins Treppenhaus. Er überprüfte die Treppenflucht ober- und unterhalb des Absatzes, wo wir standen, dann beugte er sich dicht zu mir und flüsterte: »Hören Sie, das haben Sie nicht von mir – wenn herauskommt, dass Sie das von mir haben, stecke ich bei Agentin Price tief in der Scheiße –, aber ich garantiere Ihnen, dass Williams nicht derjenige war, der in Ihr Büro eingebrochen ist und die Knochen gestohlen hat.«
»Da können Sie sich doch gar nicht sicher sein.«
»Oh, doch«, zischte er.
»Wie das?«
»Weil er die letzten zwei Stunden in einem Raum voller Kriminalbeamter und FBI-Beamter verbracht hat, deswegen.«
Ich musste zugeben, dass das ein ziemlich gutes Alibi war.
»Dann muss es der Sheriff gewesen sein. Oder sein Bruder. Orbin scheint mir der Typ zu sein, der vor einem kleinen Einbruch nicht zurückschreckt. Könnten Ihre Leute die beiden nicht irgendwie überwachen? Bitte.«
Er schaute noch einmal die Treppe hinauf und hinunter. »Der Papierkram ist just in diesem Augenblick, da wir uns unterhalten, in Arbeit«, flüsterte er. »Büro, Zuhause, Autos. Müsste innerhalb einer Woche durch sein.« Er drückte fest meinen Arm. »Vergessen Sie nicht, dieses Gespräch haben wir nie geführt.«
Ich nickte, dankbar, dass wir es nie geführt hatten.
27
Nachdem die Polizei wieder abgezogen war, rief ich, immer noch ziemlich aufgewühlt, Jim O’Conner an, um ihm von dem Diebstahl der Knochen zu erzählen. Er klang erschüttert und wütend. »Hören Sie«, sagte ich, »ich habe mich gefragt, ob Sie mir vielleicht ein bisschen was über die Familie Kitchings erzählen können? Irgendwie kann ich nicht umhin zu glauben, dass zumindest einer von ihnen seine Finger da drin hat, aber ich komme nicht dahinter, wer oder warum.«
»Das sollten wir nicht am Telefon besprechen«, sagte er. »Mit dem Geld aus den Drogenrazzien hier oben wurde in den letzten Jahren jede Menge schicke Ausrüstung gekauft.« Ich war eine leistungsstarke Enduro gefahren und hatte den Hubschrauber gesehen, der hinter dem Gerichtsgebäude parkte, also wusste ich, wovon er sprach. »Auch Elektronik«, sagte er. »Ich sage nichts am Telefon, von dem ich nicht will, dass jeder im County es weiß.«
»Okay. Jetzt ist es Viertel nach eins. Ich muss mir auf dem Weg rauf zu Ihnen noch was zu essen besorgen, aber ich könnte gegen halb drei da sein.«
»Ich schicke Ihnen Waylon, der kann Sie an der Interstate-Ausfahrt abholen.«
»Ich weiß nicht recht«, sagte ich. »Das letzte Mal, als Waylon mich abgeholt hat, habe ich am Ende kopfüber in einem Fass mit toten Hühnern gesteckt, besudelt mit Blut, Kotze und Kautabaksaft.«
Er lachte. »Eine Wahnsinnsgeschichte, was?« Das musste ich zugeben. »Und er hat Ihnen geholfen, aus der Höhle rauszukommen«, erinnerte er mich. Obwohl mir nicht wohl war bei dem Gedanken, erklärte ich mich einverstanden, Waylon noch eine Chance als Chauffeur zu geben.
Als ich gerade den letzten Bissen meines Mittagessens verschlang, kam er polternd auf dem gekiesten Platz neben der Pilot-Tankstelle zum Stehen. Ich hievte mich in sein Auto, und er schenkte mir ein Grinsen. »Wie
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