Anatomie
Waylons Hand ab.
Die Tür quietschte wieder, und eine magere kleinwüchsige Version von Waylon kam in schlurfendem Gang auf uns zu. »Hey, Vernon«, rief Waylon. »Ich habe den Doc mitgebracht. Das ist der geniale Knochendetektiv, von dem ich dir erzählt habe.«
Vernon nickte zur Begrüßung. Ich nickte ebenfalls. »Ihr zwei kommt doch nicht eben von einem Hahnenkampf, oder?« Vernon kicherte über seinen Witz, und ich warf Waylon einen galligen Blick zu.
Waylon angelte von irgendwo eine Brieftasche heraus. »Hier sind zweihundert. Ich dachte, ich wäre ein bisschen flüssiger, aber am Sonntag lief es nicht so wie geplant.«
Das war meine Schuld, ging mir auf – wenn ich beim Hahnenkampf nicht zusammengebrochen wäre, hätte Waylon länger bleiben und öfter wetten können.
Vernon nahm das Geld und schüttelte Waylon die Hand. »Ich danke dir. Ich frage nicht gern, aber wir haben immer noch ziemliche Probleme mit Ralph. Das ist mein Jüngster«, erklärte er mir. »Er ist blass wie ein Gespenst, will nichts essen, und er scheißt und pinkelt Blut – verzeihen Sie meine Ausdrucksweise, Doc. Er sieht gar nicht gut aus, Waylon. Wir fürchten, er packt es nicht.«
Mit gutem Grund, dachte ich – es hörte sich so an, als hätte das Kind Leukämie, aber ich zögerte, das Thema zur Sprache zu bringen. Vielleicht konnte ich später mit Waylon darüber reden.
Waylon schlug Vern auf die Schulter, dann nahm er ihn in die Arme, wobei der kleinere Mann fast völlig verschwand. Ein gedämpftes Schluchzen drang aus der Brustgegend des großen Mannes. »Es wird schon wieder«, sagte Waylon. »Ihr müsst nur durchhalten, dann wird schon alles wieder gut. Und jetzt muss ich den Doc rüber zu Jim bringen.«
Aus der Ferne drang das abgehackte Dröhnen eines Hubschraubers, der sich uns näherte. Waylons Blick schoss zum Himmel. »Mist, gehen wir, Doc«, sagte er. »Wir müssen außer Sichtweite sein, bevor der Hubschrauber runter kommt.«
Er lief den Weg hinunter und duckte sich hinter einen Haufen umgestürzter Kiefern. Ich folgte ihm so schnell ich konnte und hoffte, dass wir nicht in einen anderen Bereich voller Fallen gerieten. Hinter uns hörte ich ein Rascheln, und als ich mich umschaute, sah ich, dass Duke uns folgte.
Sobald wir im Versteck waren und Waylons Hand an Dukes Halsband ruhte, riskierten wir einen Blick zu Vernons Hütte. In einem Wirbelwind aus Laub und Staub senkte sich am Rand der Lichtung ein schnittiger schwarzgoldener Bell JetRanger herab. Auf der Seite des Hubschraubers prangten ein fünfzackiger Stern und die Worte »Cooke County Sheriff«. Während der Motor noch auslief, entstieg Orbin Kitchings dem Cockpit und ging mit gespreizten Beinen auf Vernon zu, ohne sich um den Rotor zu scheren, der sich über seinem Kopf drehte.
Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Waylon leise mit etwas hantierte, doch ich achtete nicht darauf, bis mir ein grausig vertrautes Aroma in die Nase stieg: Er hatte eine Dose Copenhagen geöffnet, und ich hockte direkt im Wind. Ich kämpfte gegen das Bedürfnis zu würgen und konzentrierte mich mit aller Macht auf die beiden Gestalten, die sich auf der Lichtung stritten. Als das Geräusch des Motors samt Rotor erstarb, verstand ich allmählich, was sie sagten. »Aber mehr habe ich nicht«, sagte Vernon mit hoher, gepresster Stimme. »Ich spiele keine Spielchen, das ist bis auf den letzten Cent alles, was ich besitze. Mein Junge ist krank, und ich kriege erst wieder Geld, wenn ich die Ernte eingeholt habe. Komm dann wieder.«
Orbin spuckte aus. »Scheiße, Vernon, es lohnt weder meine Zeit noch den Sprit, dass ich dafür hier rauskomme. Ich habe fünfhundert gesagt.« Verdammt, dachte ich, wenn die Kriminalpolizei den Hubschrauber doch nur schon verwanzt hätte. Vielleicht klappte es ja vor seinem nächsten Flug hierher.
»Ich weiß, Orbin, und ich hab’s versucht, aber ich hab’s erst, wenn die nächste Ernte drin ist. Wenn das Wetter gut bleibt, lass ich es noch eine Woche wachsen. Das bedeutet zweitausend zusätzlich. Du musst mir ein bisschen Zeit geben.«
Nach einer Pause sagte Orbin: »Was hast du da gesagt?«
»Du … du musst mit mir zusammenarbeiten, Orbin.« Vernons Stimme zitterte. Der Hund spürte die Anspannung und rührte sich, doch Waylon hielt ihn fest.
Ich sah, wie der Deputy Vernon mit dem Handrücken eine verpasste, doch es dauerte einen Sekundenbruchteil, bevor das Geräusch zu uns getragen wurde. »Hör gut zu, du kleiner Pisser. Ich muss gar nichts
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