Ancient BladesDie Metropole der Diebe
gleichen Stockwerk wie die obersten Gemächer des Palasts. »Er wird in einem Raum aufbewahrt, der dem ersten Burggrafen als Schlafgemach diente. Man legt ihn dort jede Nacht ab, während der derzeitige Burggraf schläft. Sieh dich vor: Er wird gut bewacht.«
Zumindest eine Verteidigungslinie hatte sich aufgelöst. Gewöhnlich wimmelte der Korridor vor Soldaten, aber Bikkers Ablenkungsmanöver hatte die Männer in den Schlosshof gelockt.
»Sie werden ihren Posten verlassen, aber glaub bloß nicht, dass man einen Schatz so nachlässig bewachen lässt. Waffenmänner sind allzu leicht zu überwältigen. Mauern können erklommen, Schlösser geknackt werden. Das weiß der Burggraf. Also wird er andere Hüter beauftragt haben, die auf dich warten.«
Malden hatte ihr genau zugehört. Er hielt die Augen offen, als er den Korridor enlang und um die Biegung des L-förmigen Gangs in jenen Flügel schlich, der zum Turmzimmer führte. Als er sich der Tür am anderen Ende näherte, wickelte er bereits den Griff seiner Ahle ab und nahm seine Dietriche heraus. Die stabile Tür mit den Eisenbeschlägen war mit einem Riegelschloss versehen, aber das bereitete ihm kein Kopfzerbrechen.
»Gibt es dort irgendwelche Schutzzauber?«, hatte er gefragt.
»Unwahrscheinlich. Der Burggraf vertraut Zauberern nicht, davon abgesehen ist Magie sowieso viel zu unzuverlässig, selbst unter günstigsten Umständen. Ganz zu schweigen davon, dass Magie sehr kostspielig ist. Nein, du musst dich nicht vor dem Werk von Zauberern fürchten. Aber vor dem Werk von Zwergen.«
Die Tür führte in einen fünfundzwanzig Fuß langen Korridor. Alle zehn Fuß gab es hohe Fenster, durch die Mondlicht silberne Teiche auf den Holzfußboden malte. Zwischen jedem Lichtfleck erstreckten sich undurchdringliche Schatten. Als wäre der Gang die Reihe eines Spielbretts mit abwechselnd hellen und dunklen Feldern.
»Ich kann dir nicht sagen, auf welche Fallen du möglicherweise stößt«, hatte Cyhera gesagt. »Ich kann dir nur raten, dich vor allen Räumen zu hüten, die unbenutzt erscheinen. Der Palast ist ein geschäftiger und beengter Ort, also werden Zimmer, die völlig leer zu sein scheinen oder deren Boden vollgestaubt ist, aus gutem Grund gemieden.«
Von dem monderhellten Korridor zweigten keine Türen ab, es gab auch keine Möbel. Am anderen Ende sah Malden etwas Metallisches funkeln. Er blieb an der Schwelle stehen und betrachtete nachdenklich, was da vor ihm lag. Auf dem Boden lag kein Staubflöckchen, zumindest konnte er in dem schwachen Lichtschein keines entdecken. Und doch erweckte dieser Korridor ein bestimmtes Gefühl, das er sich nicht genau erklären konnte; der entschiedene Eindruck, dass dort etwas fehlte. Es fühlte sich einfach nicht wie ein Ort an, der oft benutzt wurde. Ness war eine alte Stadt, die selbst in ihren Anfängen überbevölkert gewesen war. Im Laufe der Jahre war jeder Stein von Millionen von Händen berührt, war jede Wand von Kleidung glatt poliert worden. Dieser Korridor hingegen sah aus, als wäre er eben erst gebaut worden – von geschickten, meisterhaften Händen.
Was natürlich das Zeichen von Zwergenarbeit war. Ja. Das hier war der richtige Ort.
Cyhera hatte sich klar ausgedrückt. »In dieser Stadt leben mehr als sechzig Zwerge. Sämliche reichen Bürger bedienen sich deren Fertigkeiten, denn nur Zwerge vermögen die komplizierten Gerätschaften zu konstruieren, die gegen nächliche Diebe und Mörder schützen. Ein menschlicher Ingenieur könnte diese teuflischen Fallgruben zwar ersinnen, aber nur ein Zwerg kann sie auch bauen. Der Burggraf hat gewiss die Dienste der Besten von ihnen in Anspruch genommen, und die Fallen, die er auslegen ließ, stellen sicherlich ungewöhnliche Gefahren dar.«
Nun, auch Malden hatte einen Zwerg auf seiner Seite. Slag hatte die Stirn gerunzelt, als Malden ihm aufgezählt hatte, was er brauchte, aber dann hatte Cubills Zwerg ihn zum ersten Mal nicht geringschätzig gemustert. Was da in den Zwergenaugen gefunkelt hatte, war zwar nicht unbedingt Hochachtung gewesen, aber zumindest das Eingeständnis, dass der Dieb kein völliger Narr war.
Malden griff in einen Beutel am Gürtel und zog eine lederumwickelte Bleikugel hervor. Schwer wie ein Pflasterstein lag sie in seiner Hand. Bedachtsam warf er die Kugel in den Korridor und trat schnell von der Schwelle zurück.
Einen Augenblick lang kam er sich albern vor, wie ein Kind, das auf der Gasse spielt. Die Kugel rollte fröhlich durch die erste
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