Anderer Welten Kind (German Edition)
mit rostigen Stellen gesprenkelten Blechkasten im Nachttisch des Vaters neben einigen Reichsmünzen, einer Spielkarte, der Karo-Sieben, einem goldenen Uhrenarmband mit einem defekten Glied, ein eisernes Kreuz an einem roten Band lag, fast ein wenig achtlos abgelegt.
Es hätte also so sein können.
1. Kapitel
Es war nie ganz lautlos, selbst wenn Christian den Atem anhielt. Nur der erste Eindruck war eine riesige Stille, die sich über ihn wölbte, weit und weich. Aber trotz der feuchten Nebelschwaden, die in diesem Jahr schon früh mit der Oktoberkälte über dem Land hingen, trug die Luft die leisesten Geräusche klar und unterscheidbar über große Entfernungen. Im Herbst gab es die Kakophonie nicht, die das Moor noch vor einem Monat mit Lebenswillen füllte, wenn es schmatzte und gurgelte und jedes lebendige Wesen seine Existenz herausschrie. Jetzt hörte Christian eine Krähe krächzen und das Blubbern in einem Wasserloch, aus dem Blasen stiegen. Weit entfernt fuhr ein Auto. Das Wasser, das das Haus umfloss, glänzte in der fahlen Herbstsonne; ab und zu berührte ein Insekt seine Oberfläche und erzeugte konzentrische Kreise, die sich langsam, immer schwächer werdend, ausbreiteten.
Das Haus war aus Holz gebaut, waagerecht angebrachte Bretter lappten übereinander, rostbraun, die Fensterrahmen weiß gestrichen. Die Tür war verschlossen. Durch die drei Fenster, eins links neben der Tür und zwei rechts von ihr, drang kein Lichtschein. Die weiße Gardine in dem Oberlicht der Tür war zugezogen. Das Dach aus Reet mit großen bemoosten Flächen, tief hinuntergezogen, warf einen Schatten, der den Eingangsbereich im Dunkeln ließ, eine Dachluke war leicht geöffnet.
Das Haus schien kein Leben zu bergen. Der Platz davor, der in einen hölzernen Steg mit einem roh gezimmerten Jägerzaun mündete, wirkte verlassen. Stumpfes Moorgras, braun und grünlich gesprenkelt, lag niedergetrampelt bis zum Frühjahr. An dem Steg war ein kleines, hölzernes Ruderboot vertäut, die Ruder ragten mit ihren Griffen über den Bug hinaus. Wieso zeigt sich denn niemand, dachte Christian.
Der Teich, in dem das Haus stand, hatte die Form eines Nierentisches; die kleine Insel lag in dem größeren, fast runden Teil des Gewässers. Ein geübter Werfer hätte es vom Ufer aus treffen können. Die Ufer waren sumpfig und Christian musste aufpassen, um nicht in eines der knatschenden Moorlöcher zu treten. Er kannte inzwischen den Pfad recht gut, der zu dem Teich führte, und er stellte sich zwischen zwei Birken in der Nähe des Ufers, wenn er das Haus beobachtete. Ein großes, raumgreifendes Brombeergebüsch schützte ihn vor Blicken aus dem Haus, wie er hoffte. Das Gartenhaus, das mit der Vorderfront im rechten Winkel zu dem Haupthaus ein wenig zurückversetzt stand, war dem Blick des Jungen entzogen. Er hätte es aufmerksamer in Augenschein genommen, wenn er schon damals gewusst hätte, dass sich hier das eigentliche Atelier befand.
Zweimal hatte er den Maler gesehen. Einmal, als er vor das Haus getreten war, sich reckte und gähnte, kurz einen halben Rundblick um sich werfend, um dann wieder im Haus zu verschwinden. Christian meinte jedenfalls, ihn erkannt zu haben, und hatte sich jedes Detail gemerkt: die langen, dunklen Haare, die zurückgekämmt über den Kragen des braunen Cordjacketts fielen, den dunklen Rollkragenpullover, die kräftige Nase und das glatt rasierte, dominante Kinn und die schlanke Figur. Er war fasziniert gewesen. Der Mann hatte den Kopf nicht in seine Richtung gedreht, sodass Christian seine Augen nicht sehen konnte, aber die straffe Körperhaltung und das vorgereckte Kinn wiesen auf Selbstbewusstsein und Dominanz hin, denen er sich sofort unterlegen fühlte und die ihn gleichsam anzogen.
Das zweite Mal sah Christian ihn, als er mitten auf dem Teich in Richtung Insel ruderte. Zwei, drei kräftige Schläge mit durchgedrücktem Kreuz, bevor er mit einem eleganten Ruderschlag am Steg beidrehte, das Boot mit geübten Griffen vertäute und, ohne sich umzusehen, dem Haus zustrebte. Ja, es war der Mann aus den Lübecker Nachrichten. Es war Malskat. Christian fühlte sich ihm, als er ihn so lebendig sah, ganz nahe, er hätte am liebsten auf sich aufmerksam gemacht. Er dachte in diesem Moment, dass es möglich sein könnte, ihm seine mit dem Tuschkasten gefertigten Bilder zu zeigen, die noch niemand außer ihm gesehen hatte. Malskat übte auf ihn eine unerklärliche Anziehung aus, vielleicht, weil dort einer war, der malte,
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