ANDERSENS MÄRCHEN ((Sämtliche Werke)) (German Edition)
ihre Kinder auf den Herrenhof kommen, schwarz gekocht werden und auf einer silbernen Schüssel liegen.
Nachdem die Rede gehalten war, krochen die Alten in ihr Haus und kamen nie wieder heraus; sie schliefen. Das junge Schneckenpaar regierte im Walde und bekam eine große Nachkommenschaft, aber gekocht wurden sie nie, und sie kamen auch niemals auf silberne Schüsseln. Daraus schlossen sie, daß der Herrenhof eingestürzt und alle Menschen in der Welt ausgestorben wären. Und da niemand ihnen widersprach, mußte es ja wahr sein. Und der Regen schlug auf die Klettenblätter, um für sie Trommelmusik zu machen, und die Sonne schien, um dem Klettenwald ihretwillen eine schönere Färbung zu geben, und sie waren sehr glücklich, und die ganze Familie war glücklich, und sie waren es wirklich!
Der Flachs
Der Flachs stand in voller Blüte. Er hatte so schöne blaue Blumen, die waren zart wie Mottenflügel und noch zarter. Die Sonne beschien den Flachs, und die Regenwolken begossen ihn, und das tat ihm ebenso gut, wie es kleinen Kindern tut, wenn sie gewaschen werden und dann einen Kuß von der Mutter bekommen. Sie werden ja nur schöner davon. Und das wurde der Flachs auch.
"Die Leute sagen, ich stehe ganz ausgezeichnet," sagte der Flachs, und ich werde so herrlich lang, daß ich ein prächtiges Stück Leinen geben werde. Nein, wie glücklich ich doch bin. Ich bin bestimmt der Glücklichste von allen. Ich habe es so gut, und ich soll noch zu etwas werden. Wie der Sonnenschein belebt, und wie der Regen schmeckt und erquickt. Ich bin unsagbar glücklich, ich bin der Allerglücklichste."
"Ja, ja, ja" sagten die Zaunpfähle, "Du kennst die Welt nicht, aber wir kennen sie. Wir haben Knorren in uns!" Und dann knackten sie ganz jämmerlich:
"Schnipp, schnapp, schnurre,
Basselurre,
Aus ist das Lied."
"Nein, das ist es nicht" sagte der Flachs. "Die Sonne scheint am Morgen, der Regen tut so wohl, ich kann hören, wie ich wachse, ich kann fühlen, wie ich blühe! Ich bin der Allerglücklichste."
Aber eines Tages kamen Leute, nahmen den Flachs beim Schopfe und rissen ihn mit Stumpf und Stiel aus, das tat weh. Er wurde in Wasser gelegt, als sollte er ertränkt werden, und dann kam er über Feuer, als sollte er gebraten werden. Es war schrecklich!
"Man kann es nicht immer gut haben" sagte der Flachs. "Man muß etwas durchmachen, um etwas zu wissen."
Aber es kam freilich recht schlimm. Der Flachs wurde gebrochen, gedörrt und gehechelt, ja, was wußte er viel, wie alles das hieß. Er kam auf den Rocken, schnurre schnurr. Es war nicht möglich, die Gedanken beisammen zu behalten.
"Ich bin unsäglich glücklich gewesen!" dachte er in all seiner Pein. "Man muß zufrieden sein mit dem Guten, das man genossen halt. Froh, oh, o!" Und das sagte er noch, als er auf den Webstuhl kam. Da wurde er ein herrliches, großes Stück Leinewand. Aller Flachs, jede einzige Pflanze, kam in das eine Stück.
"Ja, aber das ist ja prächtig! Das hätte ich nie geglaubt Nein, wie gut es doch das Glück mit mir meint. Ja, die Zaunpfähle wußten wahrlich gut Bescheid mit ihrem:
"Schnipp, schnapp, schnurre,
Basselurre!"
Das Lied ist gar nicht aus. Nun fängt es erst an. Das ist doch gar zu prächtig! Ich habe ja etwas leiden müssen, aber dafür bin ich jetzt auch etwas geworden. Ich bin doch der Glücklichste von allen. Ich bin so stark und so weich, so weiß und so lang. Das ist doch etwas anderes, als nur eine Pflanze zu sein, selbst wenn man Blüten trägt. Man wird nicht gepflegt, und Wasser bekommt man nur, wenn es regnet. Jetzt habe ich Aufwartung. Das Mädchen wendet mich jeden Morgen, und mit der Gießkanne bekomme ich jeden Abend ein Regenbad; ja, die Pfarrersfrau selbst hat sogar eine Rede über mich gehalten und gesagt, daß ich das beste Stück im ganzen Kirchspiel sei. Glücklicher kann ich gar nicht werden!"
Nun kam das Leinen ins Haus und unter die Schere. Wie man es schnitt und riß und mit der Nähnadel hineinstach; denn das tat man. Das war kein Vergnügen. Aber aus dem Leinen wurden zwölf Stück Wäsche von der Art, die man nicht gern nennt, die aber alle Leute haben müssen. Es waren gerade zwölf.
"Nein, sieh nur. Jetzt ist erst wirklich etwas aus mir geworden! Das war also meine Bestimmung. Ja, das ist ja wundervoll! Nun bringe ich doch der Welt Nutzen, und das ist es, was man soll, das ist das beste vergnügen! Wir sind zwölf Stück geworden,
Weitere Kostenlose Bücher