ANDERSENS MÄRCHEN ((Sämtliche Werke)) (German Edition)
der kleinen, ärmlichen Stube, wo der Bildschnitzer saß; er hörte alles, was gesprochen wurde, nickte im Traume und sagte:
"Ja, mein dänisches Volk, denkt nur an mich. Behaltet mich in Erinnerung. Ich komme in der Stunde der Not."
Und draußen vor Kronborg leuchtete der klare Tag, und der Wind trug die Töne des Waldhorns vom Nachbarlande herüber, die Schiffe segelten vorbei und grüßten: "Bum, Bum," und von Kronborg antwortete es: "Bum, Bum," Aber Holger Danske erwachte nicht, so stark sie auch schossen, denn es hieß ja nur: "Guten Tag." - "Schönen Dank." Da muß anders geschossen werden, wenn er erwachen soll. Aber er erwacht sicher einmal, denn seine Kraft schlummert nur.
Die Blumen der kleinen Ida
"Meine armen Blumen sind ganz verwelkt!" sagte die kleine Ida. "Sie waren so schön gestern abend, und nun hängen alle Blätter vertrocknet! Warum tun sie das?" fragte sie den Studenten, der im Sofa saß; denn auf seine Meinung gab sie etwas. Er kannte die allerherrlichsten Geschichten und schnitt so lustige Bilder aus: Herzen mit kleinen Dämchen darin, die tanzten, Blumen und große Schlösser, deren Türen man aufmachen konnte; es war ein lustiger Student! "Warum sehen die Blumen heute so traurig aus?" fragte sie ihn wieder und zeigte ihm einen großen Strauß, der ganz verwelkt war.
"Ja, weißt du, was ihnen fehlt?" sagte der Student, "die Blumen sind heute nacht zum Ball gewesen, darum lassen sie die Köpfe hängen!"
"Aber die Blumen können doch nicht tanzen!" sagte die kleine Ida.
"Aber ja", sagte der Student, "wenn es dunkel wird und wir anderen schlafen, dann springen sie lustig umher; fast jede Nacht halten sie Ball!"
"Können Kinder nicht mit auf den Ball kommen?"
"Ja", sagte der Student, "ganz kleine Gänseblümchen und Maiglöckchen!"
"Wo tanzen die schönsten Blumen?" fragte die kleine Ida.
"Bist du nicht oft vor dem Tore bei dem großen Schloß gewesen, wo der König im Sommer wohnt und der prächtige Garten mit den vielen Blumen ist! Du hast ja die Schwäne gesehen, die zu dir heranschwimmen, wenn du ihnen Brotkrumen geben willst. Dort draußen ist wirklich Ball, das kannst du glauben!"
"Ich war erst gestern mit meiner Mutter draußen im Garten!" sagte Ida, "aber alle Blätter waren schon von den Bäumen herunter, und es waren gar keine Blumen mehr da! Wo sind sie? Im Sommer sah ich so viele!"
"Sie sind drinnen im Schloß!" sagte der Student. "Du mußt wissen, sobald der König und alle Hofleute hierher in die Stadt ziehen, laufen die Blumen gleich vom Garten in das Schloß und sind lustig. Das solltest du sehen! Die zwei allerschönsten Rosen setzen sich auf den Thron, und dann sind sie König und Königin. All die roten Hahnenkämme stellen sich an den Seiten auf und stehen und verbeugen sich. Das sind die Kammerjunker.- Dann kommen die niedlichsten Blumen, und dann ist großer Ball. Die blauen Veilchen stellen kleine Seekadetten vor; sie tanzen mit Hyazinthen und Krokus, die sie Fräulein nennen! Die Tulpen und die großen gelben Lilien sind die alten Damen, die auf passen, daß hübsch getanzt wird, und daß es ordentlich zugeht!"
"Aber", fragte die kleine Ida, "ist Niemand da, der den Blumen etwas tut, weil sie auf des Königs Schlosse tanzen?"
"Es weiß eigentlich Niemand etwas davon!" sagte der Student. Nachts kommt freilich zuweilen der alte Schloßverwalter, der da draußen aufpassen soll; er hat immer ein großes Bund Schlüssel bei sich. Sobald die Blumen nun die Schlüssel rasseln hören, sind sie ganz stille, verstecken sich hinter den langen Gardinen und stecken den Kopf heraus. Ich rieche genau, daß hier Blumen im Saal sind! sagt der alte Schloßverwalter, aber er kann sie nicht sehen.
"Doch, natürlich!" sagte der Student, "denke nur daran, wenn du wieder heraus kommst, daß du durch die Fenster hineinguckst, dann wirst du sie schon sehen. Ich habe es heute auch getan; da lag eine lange, gelbe Osterblume im Sofa und streckte sich, das war eine Hofdame!"
"Können auch die Blumen aus dem Botanischen Garten da heraus kommen? Können sie den weiten Weg machen?"
"Ja freilich!" sagte der Student, "denn wenn sie wollen, können sie auch fliegen. Du hast doch gewiß die schönen Schmetterlinge gesehen, die roten, gelben und weißen, die fast wie Blumen aussehen. Und das sind sie auch gewesen. Sie sind von ihrem Stengel hoch in die Luft hinauf gesprungen und haben mit den Blättern geschlagen,
Weitere Kostenlose Bücher