ANDERSENS MÄRCHEN ((Sämtliche Werke)) (German Edition)
Spinneweben.
Johannes war gerade aus dem Walde herausgekommen, als eine starke Männerstimme hinter ihm rief: "Holla, Kamerad! wohin geht die Reise?"
"In die weite Welt hinaus!" sagte Johannes. "Ich habe weder Vater noch Mutter, bin ein armer Bursche, aber der liebe Gott wird mir schon helfen!"
"Ich will auch in die weite Welt hinaus!" sagte der fremde Mann. "Wollen wir zwei uns zusammentun?"
"Jawohl!" sagte Johannes, und so gingen sie zusammen weiter. Bald wurden sie gute Freunde, denn sie waren beide gute Menschen. Aber Johannes merkte wohl, daß der Fremde viel klüger war als er; er hatte fast die ganze Welt gesehen und wußte von allem Möglichen zu erzählen. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als sie sich unter einen großen Baum setzten, um ihr Frühstück zu verzehren. Da kam eine alte Frau des Weges. Oh, wie alt und krumm sie war. Sie stützte sich auf einen Krückstock und trug ein Bündel Brennholz auf dem Rücken, das sie sich im Walde zusammengelesen hatte. Ihre Schürze war aufgerafft, und Johannes sah, daß drei große Ruten von Farnkraut und Weidenzweigen daraus hervorsahen. Als sie nun ganz nahe herangekommen war, glitt ihr Fuß aus, sie fiel um und gab einen lauten Schrei von sich, denn sie hatte ihr Bein gebrochen, die arme, alte Frau.
Johannes sagte sogleich, daß sie sie nach Hause in ihre Wohnung tragen wollten, aber der Fremde öffnete sein Ränzel, holte ein Krüglein daraus hervor und sagte, daß er hier eine Salbe habe, die sogleich ihr Bein wieder heil und gesund machen könne, so daß sie allein heimgehen könne und zwar, als ob sie niemals ihr Bein gebrochen habe. Aber dafür wolle er auch, daß sie ihm die drei Ruten schenke, die sie in ihrer Schürze habe.
"Das ist gut bezahlt!" sagte die Alte und nickte ganz wunderlich mit dem Kopfe; sie wollte nicht so gerne ihre Ruten hergeben. Aber es war auch kein Vergnügen, mit gebrochenem Bein dazuliegen. So gab sie ihm denn die Ruten, und kaum hatte er ihr das Bein mit der Salbe eingerieben, als sich die alte Mutter auch schon aufrichtete und viel besser lief als zuvor. Das hatte die Salbe getan. Aber die war auch in keiner Apotheke zu haben.
"Was willst du mit den Ruten?" fragte Johannes nun seinen Reisekameraden.
"Das sind drei schöne Kräuterbesen!" sagte er, "auf so etwas bin ich ganz versessen; denn ich bin ein komischer Kerl!"
So gingen sie noch ein gutes Stück weiter.
"Sieh' was da heraufziet!" sagte Johannes, und zeigte geradeaus; "das sind ja schrecklich dicke Wolken!".
"Nein," sagte der Reisekamerad, "das sind keine Wolken, das sind Berge. Die herrlichen großen Berge, wo man über die Wolken hinaus in die frische Luft kommt! Glaube mir, das ist prächtig! Morgen werden wir gewiß dort sein!"
"Aber es war nicht so nahe, wie es aussah; sie mußten noch einen ganzen Tag wandern, bevor sie zu den Bergen kamen, wo die schwarzen Wälder gegen den Himmel emporstrebten und wo es Felsen gab, groß wie eine ganze Stadt. Das würde einige Anstrengung kosten, da hinüber zu kommen, deshalb gingen auch Johannes und der Reisekamerad vorher in ein Wirtshaus, um sich gut auszuruhen und Kräfte zum morgigen Marsch zu sammeln.
Unten in der großen Schankstube im Wirtshaus waren viele Menschen versammelt, denn da war ein Mann, der ein Puppenspiel aufführte; er hatte gerade sein kleines Theater aufgebaut, und die Leute saßen rings umher, um die Komödie zu sehen. Aber in der vordersten Reihe hatte ein alter dicker Schlächter seinen Platz, und zwar den allerbesten. Sein großer Bullenbeißer - hu, wie grimmig glotzte der umher! - saß neben ihm und machte große Augen, gerade wie alle die anderen.
Nun begann das Stück, und es war ein hübsches Stück, mit einem König und einer Königin; die saßen auf einem prächtigen Thron, hatten goldene Kronen auf dem Haupte und lange Schleppen an den Kleidern, denn sie konnten sich das leisten. Die niedlichsten Holzpuppen mit Glasaugen und großen Knebelbärten standen an allen Türen und machten sie auf und zu, damit frische Luft in die Zimmer kommen konnte. Es war tatsächlich ein schönes Stück und gar nicht traurig, aber, gerade als die Königin sich erhob und über den Fußboden hinging, so - ja Gott mag wissen, was der große Bullenbeißer dachte, aber, da der Schlächter ihn nicht festhielt, setzte er mit einem Sprung ins Theater, packte die Königin mitten um ihren zarten Leib-"knickl knack!" sagte es. Es war
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