ANDERSENS MÄRCHEN ((Sämtliche Werke)) (German Edition)
geglaubt, daß die Prinzessin sich schon retten würde. Ich und die Jungen haben die Schwanenhäute mit heraufgenommen! Nein, wie froh bin ich! Und was für ein Glück, daß ich noch hier bin! Wenn der Tag graut, ziehen wir von dannen mit der ganzen großen Storchgesellschaft. Wir fliegen voran, fliegt nur hinterher, dann könnt Ihr den Weg nicht verfehlen. Ich und die Jungen werden Euch schon im Auge behalten!"
"Und die Lotosblume, die ich mitbringen sollte," sagte die ägyptische Prinzessin, "fliegt im Schwanenkleide an meiner Seite! Meines Herzens Blume bringe ich mit, das war die Lösung. Heimwärts, Heimwärts!"
Doch Helga sagte, daß sie das dänische Land nicht verlassen könne, ehe sie noch einmal ihre Pflegemutter, die liebreiche Wikingerfrau, gesehen habe. Vor Helgas Gedanken erstand jede schöne Erinnerung, jedes liebevolle Wort, jede Träne, die ihre Pflegemutter um sie geweint hatte, und fast war es ihr in diesem Augenblick, als liebte sie diese Mutter am meisten.
"Ja, wir müssen zum Wikingerhofe!" sagte der Storchvater, "dort warten ja Mutter und die Jungen! Wie sie die Augen aufreißen und die Klapper in Gang bringen werden! Mutter sagt ja nicht viel; sie ist kurz und bündig, meint es aber um so besser! Ich will gleich einmal klappern, damit sie hören können, daß wir kommen."
Und dann klapperte der Storchvater mit dem Schnabel, und er und die Schwäne flogen zur Wikingerburg.
Drinnen lagen noch alle in tiefem Schlafe. Erst spät in der Nacht war die Wikingerfrau zur Ruhe gekommen. Sie litt Angst um Klein-Helga, die nun seit drei vollen Tagen mit dem christlichen Priester verschwunden war. Sie mußte ihm fortgeholfen haben, denn ihr Pferd war es, das im Stalle fehlte. Welche Macht mochte dies alles bewirkt haben? Die Wikingerfrau dachte an die Wundertaten, die durch den weißen Christus und seine Anhänger und Jünger geschehen sein sollten. Die wechselnden Gedanken nahmen im Traume Gestalt an, es war ihr, als ob sie noch wach und nachdenklich auf ihrem Bette säße. Draußen brütete die Finsternis, der Sturm kam, sie hörte das Rollen des Meeres im Westen und Osten, von der Nordsee und vom Kattegat her. Die ungeheure Schlange, die in der Meerestiefe die Erde umspannte, erzitterte in Krämpfen und Zuckungen. Die Nacht der Götter, Ragnarok, wie die Heiden den Jüngsten Tag nannten, da alles vergehen sollte, selbst die hohen Götter, nahte. Die Hörner ertönten, und über den Regenbogen hin ritten die Götter, in Stahl gekleidet, um den letzten Kampf zu kämpfen. Ihnen voran flogen mit breiten Schwingen die Schildjungfrauen, die Reihe schloß mit den Gestalten der toten Hünen. Die ganze Luft leuchtete um sie mit Nordlichtglanz, aber die Finsternis behielt den Sieg. Es war eine entsetzliche Stunde.
Und dicht neben der geängstigten Wikingerfrau saß Klein-Helga in der häßlichen Froschgestalt, auch sie zitterte und schmiegte sich an die Pflegemutter, die sie auf ihren Schoß nahm und sie liebevoll im Arme hielt, wie häßlich ihr auch die Froschhülle erschien. Die Luft hallte wider von Schwerterklirren und Keulenschlägen, und von sausenden Pfeilen, die wie Hagelschauer über sie hinstürmten. Die Stunde war gekommen, da Himmel und Erde sich auftun, die Sterne herabfallen, und alles im Feuer Suturs vergehen sollte. Doch sie wußte, daß ein neuer Himmel, eine neue Erde kommen und Korn wegen würde, wo jetzt das Meer über den gelben Sandboden hinrollte, daß der unnennbare Gott über die Erde gebieten und Baldur, der milde, liebreiche, erlöst aus den Reichen des Todes, zu ihm aufsteigen würde. Er kam, die Wikingerfrau sah ihn, sie erkannte sein Antlitz - es war der christliche Priester.
"Weißer Christus" rief sie laut, und bei Nennung des Namens drückte sie einen Kuß auf die Stirn ihres häßlichen Froschkindes. Da fiel die Froschhaut, und Klein-Helga stand da in all ihrer Schönheit, sanft wie nie zuvor und mit strahlenden Augen. Sie küßte die Hände der Pflegemutter, segnete sie für all ihre Sorgfalt und Liebe, die sie ihr in den Tagen der Not und Prüfung erwiesen hatte und dankte ihr für die guten Gedanken, die sie in ihr gesät und erweckt hatte. Sie dankte ihr für die Nennung des heiligen Namens, und wiederholte ihn: Weißer Christus. Dann erhob sich Klein-Helga als ein mächtiger Schwan, die Schwingen breiteten sich groß und herrlich, und mit einem Flügelschlage, rauschend, wie wenn die Scharen der Zugvögel fortfliegen, schwebte sie
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