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Andreas Steinhofel

Andreas Steinhofel

Titel: Andreas Steinhofel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Mitte der Welt
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unterbricht sie meinen
Gedankengang. »Phil…?«
»Was? Oh, ich weiß nicht -«
»Vanille ist gut für die Seele.«
»Sagt wer?«
»Sage ich.«
»Mir ist schlecht.«
»Du musst dich dazu zwingen. Geht auf meine Rechnung.«
Sie grinst und winkt bereits nach der Bedienung. Wir bringen
es an diesem Nachmittag auf jeweils vier Eisbecher. Kat erzählt
Einzelheiten des missglückten Urlaubs. Wir lachen viel. Wir
ergehen uns in Spekulationen über das kommende Schuljahr
und mögliche kommende Lieben. Es ist einer dieser heißen,
himmelblauen Tage, die nach Vanilleeis und Sommer und
Zukunft schmecken, einer der Tage, an denen das Herz ohne
vernünftigen Grund höher schlägt und an denen man jeden Eid
schwören würde, dass Freundschaften nie enden.
WEITER BLICK
    ALS ICH NACH VISIBLE zurückkomme und die Haustür
hinter mir schließe, höre ich ein entferntes Murmeln aus der
Küche, gefolgt von einem nervösen Lachen. Fehlanzeige mit
der Milch, die ich mir eigentlich holen wollte. Glass hat
offensichtlich Kundschaft.
»Das UFO.«
    Ich mache einen Satz zur Seite und habe Mühe, nicht das
Gleichgewicht zu verlieren. Unmittelbar neben mir ist eine
hagere Gestalt aus dem Boden gewachsen, die mich aus kühlen
Augen mustert.
»Dianne! Du erschreckst mich noch mal zu Tode!«
    Sie wirkt nicht, als könne mein plötzliches Ableben sie
erschüttern. Wenn ich mich recht erinnere, hat Dianne schon
immer alles getan, um überhaupt nicht zu wirken. Ihr glattes
braunes Haar ist nachlässig aus dem Gesicht gestrichen. Sie ist
blass, und wie immer trägt sie, trotz der Sommerhitze, einen
viel zu weiten schwarzen Rollkragenpulli und einen
erdfarbenen, bis auf den Boden reichenden Rock.
    »Warum lauschst du schon wieder?«, flüstere ich. »Du weißt,
dass Glass das nicht mag.«
Dianne zuckt widerwillig die Achseln. Ich habe mich schon
mehr als einmal gefragt, was sie davon hat, sich heimlich die
Geschichten der Kundinnen anzuhören. Früher haben wir das
gemeinsam getan, aus purer kindlicher Neugier heraus. Ich ließ
bald wieder davon ab, zum einen, weil mir ein tieferes
Verständnis für das fehlte, um was es bei den Unterhaltungen
zwischen Glass und ihren Besucherinnen überhaupt ging, zum
anderen, weil das Schluchzen und Weinen, das Toben und die
geflüsterten oder herausgebrüllten Racheschwüre der Frauen
sich irgendwann zu gleichen begannen. Aber vielleicht ist es
genau das, was Dianne an den Lauschereien festhalten lässt, um
über die Gefühle anderer in Kontakt mit der Welt zu bleiben.
»Lass dich nicht erwischen«, rate ich ihr.
Sie macht eine abfällige Handbewegung, ohne mich dabei
anzusehen. »Ich bin nicht blöde, Phil.«
»Ich sag’s ja nur.«
Glass fühlt sich an eine Art Schweigepflicht gebunden. Sie
spricht nicht viel über ihre Kundinnen, die sie meist an den
Wochenenden oder abends, wenn sie von ihrem Job in Terezas
Anwaltskanzlei nach Hause kommt, berät. Eine Bezahlung
dafür, dass sie den Frauen zuhört, ist keine Voraussetzung, doch
die meisten lassen unaufgefordert Geld da, kleine oder größere
dankbare Summen, die Glass eisern für unvorhergesehene
Ausgaben spart – for a rainy day, woran sie Dianne und mich ab
und zu erinnert. Zu diesem Zweck thront mitten auf dem
Küchentisch Rosella, ein gigantisches Sparschwein aus
rosafarbenem Porzellan, dem von seinem Schöpfer ein Lächeln
ewiger Glückseligkeit unter den dicken Rüssel geritzt wurde.
Glass hat Rosella auf einem Flohmarkt erstanden, billig, weil
das linke Ohr abgebrochen ist.
»Wie lang ist das UFO schon hier?«, flüstere ich.
»Seit einer halben Stunde.« Dianne sieht mich noch immer
nicht an. »Sie will sich scheiden lassen.«
»Tut sie nicht.« Ich ziehe meine Turnschuhe aus und stelle sie
auf den untersten Treppenabsatz. »Das hatte sie schon ewig vor
und es dann doch bleiben lassen.«
»Sie hätte es besser getan. Ihr Mann ist ein Dreckschwein. Er
treibt es mit einer anderen Frau, und das UFO ist so blöd und
wäscht danach die Laken aus.«
»Jedem, was er braucht. Ich war übrigens in der Stadt. Hab
Kat getroffen.«
Dianne dreht sich um und gleitet, lautlos wie Rauch, in
Richtung Küche, um besser lauschen zu können. Ich weiß nicht,
warum ich immer wieder den Versuch mache, sie für mich zu
interessieren. Falls Glass und ich ihr nicht völlig gleichgültig
sind, lässt meine Schwester sich das nicht anmerken. Dianne ist
schon immer in sich zurückgezogen gewesen, doch seit ein paar
Jahren gleicht

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