Andreas Steinhofel
ihre Existenz der eines in Bernstein gegossenen
Insekts. Die Gelegenheiten, zu denen wir uns miteinander
unterhalten, werden immer seltener. Früher sind wir täglich
unterwegs gewesen, haben gemeinsam die Gegend erkundet, die
Wälder durchstreift, den Lauf des Flusses abgeschritten, bis
unsere Füße müde wurden. Wenn Dianne heute das Haus
verlässt, dann allein; stundenlang bleibt sie fort, und wenn ich
sie frage, wohin ihre einsamen Spaziergänge sie führen, erhalte
ich keine Antwort. Unsere Gespräche erschöpfen sich im
Austausch von Belanglosigkeiten.
Ich gehe die Treppe hinauf, verfolgt vom Lachen des UFOs.
DAS UFO HEISST IRENE. Vor zwei Jahren, als ihr Mann sie
schon längst betrog und Einsamkeit und Verzweiflung wie
Motten an ihr fraßen, verkündete sie, in einer lauen
Sommernacht Fotos von unidentifizierten Flugobjekten
aufgenommen zu haben. Die grobkörnigen, leicht verwaschen
wirkenden Schwarzweißbilder, die ihre Behauptung stützen
sollten, zeigten tatsächlich einige geheimnisvolle helle Flecken
vor einem dunklen Hintergrund. Sie sorgten in der Stadt schon
bald für beträchtliche Aufregung, denn nachdem die Fotos
durch die Hände aller Nachbarn und Bekannten gegangen
waren, hatte die erfolgstrunkene Irene sich dazu überreden
lassen, sie an die lokale Presse weiterzugeben. Unter der
Überschrift UFOS über uns? wurden sie in der überregionalen
Wochenendausgabe veröffentlicht. Eine Woche darauf
behauptete in einem Leserbrief an derselben Stelle Dr.
Hoffmann, der einzige Gynäkologe der Stadt, bei den Fotos
handele es sich um Ultraschallbilder eines weiblichen Uterus. In
Stammtischgesprächen ließ er bierselig verlauten, genauer
gesagt handele es sich um den Uterus der armen Irene, die Gott
weiß wie in den Besitz von Kopien der Aufnahmen gekommen
war und diese abfotografiert haben musste. Ich muss nicht
erwähnen, dass sich von den Nasenflügeln Dr. Hoffmanns
beidseits tiefe Falten zu seinen Mundwinkeln herabziehen,
womit mein uralter, an Dr. Eisbert, den Schlächter ungezählter
armer Löffelchen, geknüpfter Verdacht, solche Falten
kennzeichneten Lügner, eine späte Bestätigung erfuhr. Als
Glass von der ganzen Sache hörte, regte sie sich über die
Indiskretion des Frauenarztes mindestens ebenso auf wie über
die Formulierung weiblicher Uterus. In einem unbeantwortet
gebliebenen Brief schrieb sie dem Gynäkologen, man solle ihm
wegen grober biologischer Unkenntnis in seine männlichen Eier
treten und ihm die Approbation entziehen. Irgendjemand fühlte
sich zu noch drastischeren Maßnahmen berufen, denn wenige
Tage später schmückte ein krakeliger Schriftzug in giftgrüner
Sprühfarbe die Front der hoffmannschen Arztpraxis, der
unmissverständlich dazu aufforderte, dem verdammten
Weiberfeind den Schwanz abzuschneiden. Was wiederum dazu
führte, dass Visible eines frühen Abends Besuch von einem
Polizeibeamten erhielt, einem uniformierten, leicht verpickelten
jungen Mann, der unglaublich nervös war, was sich in einem
hochroten Kopf, ständigem Herumgezerre an seinem engen
Hemdkragen, vor allem aber in einer vermehrten
Speichelsekretion äußerte. Der Speichelfluss zwang ihn dazu,
beim Sprechen kleine Pausen einzulegen, weil er immer wieder
schlucken musste.
»Dieser Brief stammt von Ihnen, richtig?«, sagte er, noch vor
der Haustür stehend, und wedelte mit dem Schreiben, das Glass
an Dr. Hoffmann gerichtet hatte.
»Worauf Sie ihren süßen kleinen Hintern verwetten können«,
erwiderte Glass, was bei dem Beamten den ersten Schluckanfall
auslöste.
Sie führte den Mann in die Küche, erkundigte sich, ob er
angerückt war um ein amtliches Verhör durchzuführen und
bestand, als er verneinte, auf Diannes und meine Anwesenheit.
Dann setzte sie Tee auf, und es entspann sich ein halbstündiges,
hauptsächlich von Glass bestrittenes und, wie ich fand, überaus
lehrreiches Gespräch, in dem es um männliche Geschlechtsteile,
deren allgemeinen Nutzen und ihre mögliche Behandlung durch
beleidigte Frauen ging.
Irgendwann löste der junge Beamte, der sich inzwischen als
Herr Assmann vorgestellt hatte, seinen obersten Hemdenknopf.
»Ich frage Sie jetzt ganz offen«, forderte er abschließend, »ob
die Schmiererei an der Hauswand des Doktors von Ihnen
stammt.«
»Und ich frage Sie ganz offen«, gab Glass zurück und löste
damit einen letzten heftigen Schluckanfall bei ihm aus, »ob ich
wie eine Frau aussehe, die öffentlich zur
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