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Andreas Steinhofel

Andreas Steinhofel

Titel: Andreas Steinhofel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Mitte der Welt
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Wer einigermaßen bei Verstand
ist, hält sich im Schwimmbad auf oder bleibt zu Hause.
Kat und ich setzen uns an einen Tisch in der hintersten Ecke
der lärmend bunten Eisdiele und bestellen gigantische Portionen
Vanille und Kirsch. Eine Weile beobachten wir die Kinder, die
ab und zu hereinkommen um ihre abgezählten Groschen auf den
Tresen zu knallen und dann mit Eis zu verschwinden, das zu
zerlaufen beginnt, sobald sie es in den verschwitzten kleinen
Händen halten.
»Übrigens hat Daddy neulich erzählt, wir bekämen einen
Neuen«, unterbricht Kat die behäbige Stille. Am Montag enden
die Sommerferien, Schule wird langsam wieder ein Thema.
»Neu… Ist er von hier?«
Kat nickt.
»Hängen geblieben?«
»Vom Internat geflogen.« Sie fischt eine klebrige
Maraschinokirsche aus ihrem Becher, bevor sie lauernd
hinzufügt: »Reine Jungenschule.«
»Und?«
»Und…? Was meinst du, warum die dort jemanden
rauswerfen? Vielleicht ist der Typ einem seiner Mitschüler an
die Wäsche gegangen.« Die Maraschinokirsche zerploppt
zwischen perlweißen Zähnen. »Lässt diese Vorstellung dein
einsames Herz nicht höher schlagen?«
»Und deins?«
»Also, falls du auf Thomas anspielst…«
Thomas ist im Jahrgang über uns. Im vergangenen Winter ist
Kat für einige Wochen mit ihm zusammen gewesen – gerade
lange genug, wie sie mir verkündete, um ihre Jungfräulichkeit
zu verlieren und anschließend festzustellen, was sie mit
Sicherheit nicht vom Leben will. Wozu, unter anderem, auch
Thomas gehörte. Kat trägt die Tatsache, dass er ihr noch immer
nachtrauert, vor sich her wie eine nach zähem Kampf errungene
Trophäe. Obwohl sie Thomas damals mehrfach versichert hat,
ich sei nicht mehr als ihr bester Freund, wissen wir beide, dass
er maßlos eifersüchtig auf mich ist.
»Und wenn ich auf ihn anspiele…?«
»Ach, vergiss es.« Kat grinst. »Oder zeig mir einen Typen, der
nicht nur gut aussieht, sondern der auch einen IQ über 130 hat,
und der ab und zu an was anderes denkt als an Fußball, Autos
und melonengroße Titten.«
»Er sitzt neben dir.«
»Du zählst nicht, Darling.« Sie imitiert Glass. Sie wirft sogar
auf dieselbe charakteristische Art die langen blonden Haare
über die Schultern. »Und wenn du zähltest, wäre damit der
Ärger bei mir zu Hause vorprogrammiert.«
Es wäre Ärger, den Kat willkommen heißen würde. Vor über
zehn Jahren, in Halsnasenohren, haben wir festgestellt, dass wir
aus derselben kleinen Stadt stammen. Seit dem dieser
Entdeckung folgenden heiligen Schwur ewiger Freundschaft ist
unsere Beziehung Kats Eltern ein Dorn im Auge gewesen. Ich
war der Sohn dieser Frau – Glass und ihr notorischer
Lebenswandel waren schon damals Stadtgespräch -, also wurde
Kat der Umgang mit mir untersagt. Ihr Vater ist der Direktor
des städtischen Gymnasiums; es gelang ihm, dafür zu sorgen,
dass wir bereits in der Grundschule auf verschiedene Klassen
verteilt wurden. Nach dem Schulwechsel kümmerte er sich
persönlich darum, dass seine einzige Tochter nicht in meinen
unmittelbaren Dunstkreis geriet. Ich habe oft überlegt, ob er
wirklich so dumm war, nicht zu merken, dass er Kat und mich
umso enger aneinander schmiedete, je entschiedener er uns
voneinander fernzuhalten versuchte.
Kat hatte sich schon damals, aus welchen Gründen auch
immer, in den Kopf gesetzt, mich zum Freund zu wollen, und
sie ließ nie locker. Sie wurde älter, und im Lauf der Jahre
kämpfte sie ihre Eltern müde. Stur setzte sie sich über alle
Verbote und Vorbehalte hinweg, mit jenem Gleichmut und der
Kampfbereitschaft, die mich so sehr für sie einnehmen. Sie
kennt keine Vorurteile. Als hätte ihr bei ihrer Geburt eine Fee
ins Ohr geflüstert, dass die Welt ein Ort ohne Geheimnisse sei,
lässt sie alles gelten – man kann Kat in Erstaunen versetzen,
aber man kann sie nicht wirklich überraschen. Im Kern ihres
Wesens ist sie das barfüßige Löffelchen geblieben, das einem
verängstigten kleinen Jungen fraglos sein Nachthemd überlässt.
Dass schon damals ihre Motive ganz und gar nicht purer
Selbstlosigkeit entsprangen, ist eine andere, aber unschuldige
Geschichte: Wer will schon ohne Freunde leben?
Ich bin zurückhaltender als Kat, weniger bereit zu
grenzenloser Offenheit. Es gibt Dinge, die ich ihr verschweige,
weniger aus Misstrauen – niemandem vertraue ich so sehr wie
Kat -, sondern weil es sich dabei um Dinge handelt, die ich noch
nicht fertig durchdacht habe. So wie mein Verhältnis zu
Nummer Drei.
»Noch einen Vanillebecher?«,

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