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Andreas Steinhofel

Andreas Steinhofel

Titel: Andreas Steinhofel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Mitte der Welt
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kommen, ihn aus zwanzig Meter Höhe in ein Becken voller
Grießbrei springen zu lassen.
Tief in meinem Inneren blieb ich dennoch unruhig.
Halsnasenohren war keine Station unseres kleinen städtischen
Krankenhauses, sondern die einer Spezialklinik. Visible lag
mehr als zwei Autostunden entfernt, entsprechend selten waren
Besuche von Glass und Dianne oder Tereza. Vor allem Glass,
die Krankenhäuser für die Brutstätten exotischer Bakterien und
überhaupt für Orte der Grausamkeit und des Todes hielt, um die
man nach Möglichkeit einen weiten Bogen schlug, hatte keinen
Zweifel daran gelassen, dass mit ihr kaum zu rechnen war. Sie
trug die Hauptverantwortung für meine jämmerliche Lage und
konnte mir sowieso gestohlen bleiben. Auf Diannes
Anwesenheit legte ich ebenfalls keinen großen Wert, weil ich
immer noch der Überzeugung war, dass sie durch das dumme
Experiment mit der Flussschnecke zu meinem Unglück
beigetragen hatte. Es hätte ihr recht geschehen, wenn die
Schnecke für immer und immer in ihrem blöden Kopf geblieben
und bei jeder Bewegung laut klackernd darin herumgekullert
wäre. Tereza war die Einzige, nach deren Trost ich mich sehnte,
aber die hatte alle Hände voll mit ihrer neuen Anwaltskanzlei zu
tun. Ich fühlte mich allein gelassen und einsam. Eingeschüchtert
von den neonfahlen Korridoren des Krankenhauses, von denen
ich befürchtete, sie würden mich verschlingen, wenn ich
hinausging, wagte ich kaum, mein Zimmer zu verlassen. Die
meiste Zeit verbrachte ich damit, unzählige Malbücher geduldig
mit Buntstiften auszumalen.
Am Vorabend der Operation ertönten aus dem
Nachbarzimmer mörderische Schreie und die dröhnende
Stimme Oberschwester Marthes. Es war unschwer zu erraten,
dass sie in ein Gefecht mit einem der Löffelchen geraten war.
»Lass mich!«, brüllte eine Kinderstimme. »Lass mich!«
»Wirst du wohl -«
»Nein!«
Metallisches Scheppern erklang, gefolgt vom Klirren
zerspringenden Geschirrs. Ich huschte aus dem Bett und öffnete
die Tür. Ein kleines, weißes Etwas hastete an mir vorbei durch
den Flur. Um seine Stirn flatterten aufgelöste Bandagen,
darunter blitzten zwei ebenso zornige wie entschlossene grüne
Augen. Oberschwester Marthe stürmte hinterher. In ihrer
rechten Hand schwang sie drohend eine Spritze.
»Bleib sofort – Pill, Tür zu und ins Bett, ins Bett! – bleib
sofort stehen, du…«
Die wilde Jagd schoss erneut an mir vorüber, diesmal in
entgegengesetzter Richtung. Der Abstand zwischen dem
panisch quietschenden Löffelchen und seiner Verfolgerin war
deutlich geschrumpft. Beide verschwanden aus meinem
Blickfeld, dann belegte ein letzter spitzer Schrei des Flüchtlings,
dass der ungleiche Kampf zugunsten der Spritze entschieden
war.
Keine guten Aussichten.
Stunden später, die Station war längst zur Ruhe gekommen,
weckte mich das vorsichtige Tapsen nackter Füße aus
unruhigem Schlaf. Das Löffelchen mit den grünen Augen, von
einem bis zu den Knien reichenden Nachthemd umwallt, den
Kopf eingewickelt in geisterhaft leuchtende Bandagen, huschte
durch die offen stehende Tür. Vor meinem Bett blieb es stehen
und bohrte sich in der Nase.
»Meinem Papa gehört eine Schule«, sagte es.
Dem hatte ich nichts Vergleichbares entgegenzusetzen. Ich
kannte meinen Vater nicht, ich kannte nicht einmal seinen
Namen. Ich wusste nur, dass er in Amerika lebte. Amerika war
das magische Wort, das ich vor dem Einschlafen vor mir
herzusagen pflegte wie ein Gebet, immer und immer wieder.
Das Mädchen, scheinbar wild entschlossen, sich mit mir zu
unterhalten, ließ sich von meiner ausbleibenden Antwort nicht
entmutigen. »Wirst du auch an den Ohren operiert?«
Das war sicherer Boden. Ich nickte. »Meine Mutter hat gesagt,
ich würde aussehen wie Dumbo, der Elefant. Er musste von
einem Turm runter in Grießbrei springen. Alle haben ihn
ausgelacht.«
»Aber später konnte er fliegen mit seinen großen Ohren, und
er war berühmt und ein Star.«
»Wer?«
»Dumbo. Darf ich in dein Bett?«
Ich schlug die Decke zurück und rutschte zur Seite. Das
Mädchen, das Dumbo kannte und dessen Vater eine Schule
gehörte, krabbelte zu mir und kuschelte sich an mich. Ihr
Verband drückte gegen mein Gesicht, er roch nach Salbe und
Desinfektionsmitteln. Über dem linken Ohr war er leicht
erhoben. Die Stelle war dunkel von verkrustetem Blut.
»Tut es weh?«, fragte ich voller Mitgefühl.
»Arschweh.«
Glass, die kräftigen Flüchen selbst nicht abgeneigt war, hätte
mich für die Benutzung dieses Schimpfwortes

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