Andromeda
Leavitt. Der würde natürlich rasch reagieren. Leavitt war ein klinischer Mikrobiologe, ein Mann mit reichen Erfahrungen in der Behandlung von Infektionskrankheiten. Leavitt hatte zeit seines Lebens genug Seuchen und Epidemien miterlebt, um zu wissen, wie wichtig rasches Handeln war. Außerdem war da noch sein tief verwurzelter Pessimismus, der ihn nie verließ. (Leavitt hatte einmal gesagt: »Auf meiner Hochzeit mußte ich nur immer daran denken, wieviel Alimente sie mich kosten wird.«) Er war ein reizbarer, knurriger, gewichtiger Mann mit einem griesgrämigen Gesicht und traurigen Augen, die in eine triste, elende Zukunft zu blicken schienen; aber er war auch scharfsinnig und phantasiebegabt und fürchtete sich nicht vor kühnen Gedankengängen.
Dann war da der Pathologe Burton aus Houston. Stone hatte Burton nie besonders gemocht, doch erkannte er ihn als begabten Forscher an. Burton und Stone waren ihrer Veranlagung nach ganz verschieden: Stone ordnungsliebend, Burton schlampig; Stone beherrscht, Burton impulsiv; wenn Stone zuversichtlich war, erschien Burton nervös, reizbar und nörglerisch. Seine Kollegen nannten ihn den »Stolperer«, wobei sie teils auf seine lose hängenden Schnürbänder und die weiten Hosenumschläge anspielten, teils auch auf sein Talent, durch Zufall über eine wichtige Entdeckung nach der andern zu stolpern.
Kirke, der Anthropologe aus Yale, konnte offensichtlich nicht kommen. Falls der Bericht der Wahrheit entsprach, wußte Stone schon jetzt, daß er ihn sehr vermissen werde. Kirke war ein mangelhaft informierter, eingebildeter Mann, dem der Zufall einen überragend logischen Verstand beschert zu haben schien. Er besaß die Fähigkeit, sofort das Wesentliche an einem Problem zu erfassen und die nötigen Folgerungen daraus zu ziehen; zwar brachte er es nicht fertig, sein eigenes Bankkonto nachzurechnen, aber oft kamen Mathematiker zu ihm und baten ihn um seine Hilfe bei der Lösung höchst abstrakter Probleme.
Einen solchen Verstand würde Stone sehr vermissen. Der fünfte Mann war sicherlich keine große Hilfe. Stone legte die Stirn in Falten, als er über Mark Hall nachdachte. Hall war als Kompromißkandidat ins Team aufgenommen worden; Stone hätte lieber einen Arzt mit reicher Erfahrung auf dem Gebiet der Stoffwechselerkrankungen gehabt; die Wahl eines Chirurgen war erst nach langem Zögern erfolgt. Das Verteidigungsministerium und die Atomenergiekommission hatten starken Druck dahingehend ausgeübt, daß Hall aufgenommen wurde, weil diese Leute der Außenseiter-Hypothese anhingen. Schließlich hatten Stone und die anderen nachgegeben.
Stone wußte nicht viel über Hall; er fragte sich, was er wohl sagen würde, wenn man ihn von dem Alarm verständigte. Von den erheblichen Verzögerungen bei der Verständigung der Mitglieder des Teams konnte Stone nichts wissen. Burton, der Pathologe, war beispielsweise erst um fünf Uhr morgens abgeholt worden, Peter Leavitt, der Mikrobiologe, wurde erst um halb sieben verständigt, als er ins Krankenhaus kam. Hall bekam die erste Nachricht genau um 7.05 Uhr.
Mark Hall sagte später darüber: »Es war ein erschreckendes Erlebnis. In einem einzigen Augenblick wurde ich aus meiner vertrauten Umwelt gerissen und in eine völlig fremde gestürzt.« Um 6.45 Uhr stand Hall im Waschraum neben dem op 7 und schrubbte seine Hände und Arme für die erste Operation des Tages. Das war eine seit vielen Jahren vertraute tägliche Routine. Hall war entspannt und wechselte ein paar Scherzworte mit dem Stationsarzt, der sich neben ihm wusch.
Als er fertig war, betrat er den Operationssaal. Er hielt seine Arme vom Körper abgespreizt, bis ihm die Instrumentenschwester ein steriles Handtuch zum Abtrocknen reichte. Im op befanden sich noch ein weiterer Arzt, der den Patienten für die Operation vorbereitete – er reinigte den Operationsbereich mit Jod und Alkohollösung –, sowie eine weitere Schwester. Sie wechselten kurze Grüße. Im Krankenhaus war Hall als rascher, gern aufbrausender und unberechenbarer Operateur bekannt. Er arbeitete beinahe doppelt so schnell wie andere Chirurgen. Wenn alles glatt ging, lachte und scherzte er bei der Arbeit, neckte seine Assistenten, die Schwestern und den Anästhesisten. Wenn aber nicht alles reibungslos lief, wenn die Arbeit langwierig und schwierig wurde, konnte Hall ausgesprochen reizbar und unangenehm werden.
Wie die meisten Chirurgen bestand er auf strikter Einhaltung der Routine. Alles mußte in einer
Weitere Kostenlose Bücher