Ange Pitou, Band 1
Schlauheit der Vögel, die sie den Fortschritten der Philosophie zuschrieb, nämlich, daß ihr Neffe das Stipendium erhalten, in das Seminar eintreten, hier drei Jahre zubringen und das Seminar wieder als Abbé verlassen werde. Haushälterin eines Pfarrers zu sein, war aber das ewige Trachten von Mademoiselle Angelique.
Dieses Trachten mußte sich notwendig verwirklichen: denn war Ange Pitou einmal Abbé, so konnte er nicht umhin, seine Tante als Haushälterin zu nehmen, besonders nach dem, was diese Tante für ihn gethan hatte.
Der einzige Umstand, der die goldenen Träume der armen Jungfer störte, war der, daß, als sie von ihrer Hoffnung mit dem Abbé Fortier sprach, dieser den Kopf schüttelnd erwiderte:
Meine liebe Mademoiselle Pitou, um Abbé zu werden, müßte sich Ihr Neffe viel weniger der Naturgeschichte und viel mehr dem De viris illustribus oder dem Selecta e profanis scriptoribus widmen.
Das will besagen?
Daß er viel zu viel Barbarismen und unendlich zu viel Solöcismen macht, antwortete der Abbé Fortier.
Eine Antwort, die Mademoiselle Angelique in der betrübendsten Unbestimmtheit ließ.
Ueber den Einfluß, den auf das Leben eines Menschen ein Barbarismus und sieben Solöcismen haben können.
Pitou befand sich also außerhalb der Schule. Einer von seinen Armen hing an der Seite herab, der andere hielt seine Truhe auf dem Kopfe im Gleichgewicht, sein Ohr surrte noch von den wütenden Ausbrüchen des Abbes Fortier, und so ging er nach dem Pleux mit einer Sammlung des Geistes, die nichts anderes war, als die auf den höchsten Grad gestiegene Bestürzung.Endlich machte sich eine Idee Licht in seinem Geiste, und drei Worte, die seinen ganzen Gedanken enthielten, entschlüpften seinen Lippen:
Jesus! meine Tante!
In der That, was würde Mademoiselle Angelique Pitou über den Umsturz aller ihrer Hoffnungen sagen?
Was aus den Betrachtungen von Ange Pitou hervorging und was von seinen Lippen den kläglichen Ausruf springen gemacht hatte, war, daß Ange Pitou begriff, die Unzufriedenheit werde bei der alten Jungfer groß sein, wenn sie die unselige Kunde erfahre. Er kannte aber aus Erfahrung das Resultat einer Unzufriedenheit von Mademoiselle Angelique. Nur mußten diesmal, da die Ursache der Unzufriedenheit sich zu einer unberechenbaren Macht erhob, die Resultate eine unberechenbare Summe erreichen.
Er hatte beinahe eine Viertelstunde gebraucht, um den Weg, der vom großen Thore des Abbes Fortier zum Eingang der Straße in Pleux führte, zurückzulegen, und das war doch nur ungefähr dreihundert Schritte von einander entfernt.
In diesem Augenblick schlug die Glocke der Kirche ein Uhr.
Er bemerkte nun, daß ihn seine letzte Unterredung mit dem Abbé und die Langsamkeit, mit der er den Weg zurückgelegt, um sechszig Minuten verspätet hatten, und daß demnach seit dreißig Minuten die unerstreckbare Frist abgelaufen war, nach der man bei der Tante Angelique nicht mehr zu Mittag aß.
Dies war in der That der heilsame Zügel, den die alte Jungfer zugleich den Schularresten und den tollen Leidenschaften ihres Neffen angelegt hatte; dabei ersparte sie, ein Jahr in das andere gerechnet, ungefähr sechszig Mittagsmahle an dem armen Jungen.
Doch diesmal war es nicht das magere Mittagessen der Tante, was den saumseligen Schüler beunruhigte: so karg auch das Frühstück gewesen, Pitou hatte ein zu volles Herz, um zu bemerken, sein Magen sei leer.
Es giebt eine furchtbare, dem Schüler, ein so großerWicht er auch sein mag, wohlbekannte Qual; das ist der unrechtmäßige Aufenthalt in irgend einem abgelegenen Winkel nach einer Austreibung aus der Schule; es ist der entschiedene und gezwungene Urlaub, den er zu benützen genötigt ist, während seine Mitschüler, die Mappe und die Bücher unter dem Arm, vorüberziehen, um zur täglichen Arbeit zu gehen. Diese verhaßte Schule nimmt eine wünschenswerte Gestalt an. Der Schüler beschäftigt sich ernstlich mit der großen Angelegenheit der Aufgaben und Uebersetzungen, mit der er sich nie beschäftigt hat, und die dort während seiner Abwesenheit verhandelt wird. Es findet eine große Ähnlichkeit zwischen diesem von seinem Lehrer weggeschickten Schüler und dem wegen seiner Gottlosigkeit Exkommunizierten statt, der nicht mehr das Recht hat, in die Kirche zurückzukehren, während er vor Verlangen, eine Messe zu hören, brennt.
Darum dünkte dem armen Pitou, je näher er zu dem Hause seiner Tante kam, desto schrecklicher der Aufenthalt in diesem Hause. Darum
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