Ange Pitou, Band 1
stellte er sich zum ersten Male in seinem Leben vor, die Schule sei ein irdisches Paradies, aus dem ihn der Abbé Fortier als ein Würgengel mit seiner Geißel in Form eines flammenden Schwertes vertrieben habe.
So langsam er indessen ging, und obgleich Pitou von zehn zu zehn Schritten Stationen machte, die immer länger wurden, je mehr er sich dem Schreckensorte näherte, er mußte nichtsdestoweniger zur Schwelle des so sehr gefürchteten Hauses kommen. Pitou erreichte also die Schwelle, indem er seine Schuhe schleppte und maschinenmäßig seine Hand auf der Naht seiner Hose rieb.
Ah! ich bin sehr krank, Tante Angelique, sagte er, um jedem Spott oder jedem Vorwurf zuvorzukommen, und vielleicht auch, um es zu versuchen, das arme Kind beklagen zu machen.
Gut, erwiderte Mademoiselle Angelique, ich kenne diese Krankheit, und man würde sie leicht heilen, wenn man den Zeiger der Pendeluhr um anderthalb Stunden zurückrückte.Oh mein Gott, nein! rief Pitou bitter, denn ich habe keinen Hunger.
Die Tante Pitou war erstaunt und beinahe unruhig; eine Krankheit beunruhigt gleich sehr die guten Mütter und die Stiefmütter; die guten Mütter wegen der Gefahr, welche die Krankheit herbeiführt, die Stiefmütter wegen des Nachteils, den sie der Börse zufügt.
Nun, was Hast du denn, laß hören? fragte die alte Jungfer.
Bei diesen Worten, die indessen ohne eine sehr zärtliche Sympathie ausgesprochen wurden, zerfloß Ange Pitou in Thränen, und es ist nicht zu leugnen, die Grimasse, die er von der Klage zu den Thränen übergehend machte, gehörte zu den häßlichsten und unangenehmsten Grimassen, die man sehen kann.
Oh! meine gute Tante, es ist mir ein sehr großes Unglück begegnet, sagte er.
Welches? fragte die alte Jungfer.
Der Herr Abbé hat mich weggeschickt, rief Ange Pitou in ein ungeheures Schluchzen ausbrechend.
Weggeschickt? wiederholte die Tante, als ob sie ihn nicht recht verstanden hätte.
Ja, meine Tante.
Von wo?
Von der Schule.
Hier verdoppelte sich das Schluchzen von Pitou.
Von der Schule? Also keine Prüfungen, keine Stipendien, kein Seminar mehr?
Das Schluchzen von Pitou verwandelte sich in ein Geheule. Mademoiselle Angelique schaute ihn an, als hätte sie in der Tiefe des Herzens ihren Neffen den Grund seiner Ausweisung lesen wollen.
Wetten wir, daß du wieder hinter die Schule gegangen bist? sagte sie; wetten wir, daß du abermals beim Pachthof des Vaters Billot herumgestrichen bist? Pfui! ein zukünftiger Pfarrer!
Ange schüttelte den Kopf.Du lügst! lief die alte Jungfer, deren Zorn in demselben Maße zunahm, in dem sie die Gewißheit erlangte, daß die Lage der Dinge ernst war; du lügst! noch am letzten Sonntag hat man dich in der Seufzerallee mit der Billotte gesehen.
Mademoiselle Angelique log; doch zu jeder Zeit haben sich die Frömmlerinnen für berechtigt geglaubt, zu lügen, kraft des jesuitischen Axioms: Es ist erlaubt, das Falsche vorzugeben, um das Wahre zu erfahren.
Man hat mich nicht in der Seufzerallee gesehen, erwiderte Ange; das ist unmöglich, denn wir sind bei der Orangerie gegangen!
Ah! Unglücklicher! du siehst wohl, daß du mit ihr warst.
Aber, meine Tante, entgegnete Ange errötend, es handelt sich hier durchaus nicht um Jungfer Billot.
Ja, nenne sie Jungfer, um dein Spiel zu verbergen. Unreiner! Aber ich werde den Beichtvater von diesem Zieraffen benachrichtigen.
Aber, meine Tante, ich schwüre Ihnen, daß Jungfer Billot kein Zieraffe ist.
Ah, du verteidigst sie, während du der Entschuldigung bedarfst. Gut, ihr versteht euch immer besser. Oh! mein Gott, wie weit kommt es noch! ... Kinder von sechszehn Jahren!
Meine Tante, ganz im Gegenteil, ich verstehe mich nicht mit Katharine, Katharine jagt mich immer fort.
Siehst du, wie du dich verhaspelst! nun nennst du sie Katharine kurzweg. Ja, sie jagt dich fort, die Heuchlerin, wenn man sie beobachtet.
Ah! sagte Pitou plötzlich erleuchtet zu sich selbst, ah! daran hatte ich nicht gedacht.
Siehst du! rief die alte Jungfer, den naiven Ausdruck ihres Neffen benützend, um ihn der Genossenschaft der Billotte zu überweisen; aber nur zu, ich will das alles ins Reine bringen. Herr Fortier ist ihr Beichtvater; ich werde ihn bitten, dich einsperren zu lassen und auf, vierzehn Tage auf Wasser und Brot zu setzen, und was Mademoiselle Katharine betrifft, wenn sie das Kloster braucht, um ihre Leidenschaftfür dich zu mäßigen, wohl! so soll sie es kosten, wir schicken sie nach Saint-Remy.
Die alte Jungfer sprach ihr
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