Angeklagt - Dr. Bruckner
sprechen. Selbst die Ärzte, die an ihr Krankenbett treten, sehen aus wie Mondmenschen. Verkleidet tragen sie Gesichtsmasken, daß einem angst und bange werden kann. Das wollen wir vermeiden. Euthanasie bedeutet, daß wir den Menschen dann sterben lassen, wenn die Natur es für erforderlich hält.«
Es blieb einen Augenblick still. Peter Schnell schaute vor sich hin und blickte an Barbara vorbei, die ihn bittend ansah. Sie ergriff seine Hand, die auf dem Tisch lag. Es sah aus, als ob er sie ihr wieder entziehen wollte, aber dann ließ er es doch geschehen, daß sie seine Hand festhielt. »Wir verdrängen in der heutigen Zeit allzuoft den Tod. Früher einmal starb man zu Hause im Kreis der Familie. Der Sterbende wußte oft, daß es mit ihm zu Ende ging. Er war darauf vorbereitet. Heute dagegen hofft er, daß die Medizin ihn vor dem unausbleiblichen Ende bewahren kann. Er nimmt es in Kauf, daß er gequält wird, daß man ihn an Apparate hängt, ihn von der Familie, in deren Schoß er eigentlich gehört, entfernt – wie man ein faules Stück entfernt, das sich an einer Pflanze befindet, und es einfach fortwirft. Die moderne Euthanasie möchte das vermeiden. Wir möchten wieder die Menschen mit dem Sterben vertraut machen. Sie sollen diese Welt bewußt verlassen. Sterben muß man lernen. Das verstehen wir unter einem ›Schönen Tod‹!«
Es blieb eine Weile still. In Peter Schnells Gesicht zuckte es. Schließlich entzog er seine Hand Barbaras Hand, griff nach dem Glas und wartete, bis auch sie ihr Glas ergriffen hatte.
»Ich muß darüber noch nachdenken. Das sind alles Begriffe, mit denen ich mich noch nie beschäftigt habe.«
Ehe sie tranken und anstießen, sagte Barbara: »Auf gute Freundschaft!«
3
»Das ist doch ungeheuerlich!« Dr. Phisto stürmte am nächsten Morgen in das Ärztekasino. Er schwenkte eine Zeitung in der Hand. »Haben Sie das schon gelesen?«
Die alte Maria kam aus ihrer Teeküche.
»Was habe ich schon gelesen?« Sie nahm Dr. Phisto die Zeitung aus der Hand, suchte nach ihrer Brille, fand sie schließlich, setzte sie auf und überflog die Überschrift. »Dreifacher Mord im Krankenhaus? Welches Krankenhaus ist gemeint? Doch nicht etwa die Bergmann-Klinik?«
»Doch! Lesen Sie nur weiter. Da steht es –« Dr. Phisto war zu der Bedienerin getreten, legte ihr die Hand auf die Schulter und zeigte auf die Zeilen. »Drei Menschen starben kurz nacheinander an einer Operation«, las er laut vor. »Operiert wurden sie vom selben Oberarzt … Wir müssen ein Dementi an die Zeitung schicken. Nach Paragraph elf des Pressegesetzes können wir einen Widerruf in gleicher Größe und an gleicher Stelle verlangen«, verkündete der Anästhesist mit voller Lautstärke.
Dr. Heidmann hatte das Ärztekasino betreten. Erstaunt blickte er von einem zum anderen. »Haben wir Krieg oder ist irgendwo eine Revolution ausgebrochen?« Seine Blicke blieben auf der Zeitung hängen, die jetzt Schwester Angelika in der Hand hielt. »Oder was gibt es sonst Aufregendes zu melden?« Er blickte in die Zeitung. Seine Stirn umwölkte sich.
»Das ist ja nun wirklich die Höhe! Es ist genau das, was ich befürchtet habe. Herr –«, er suchte nach dem Namen des Autors, »Peter Schnell versucht, sich auf diese Weise zu rächen. Das ist ein Skandal!«
»Er hat keinen Namen genannt.« Oberarzt Dr. Wagner drückte seine Brille, die ihm auf die Nasenspitze gerutscht war, mit dem Mittelfinger der rechten Hand zurück. »Jeder muß doch nun meinen, daß ich der Operateur war! Man traut sich ja gar nicht mehr auf die Straße.«
»Aber jeder Mensch weiß auch, daß Sie nicht der einzige Oberarzt der Bergmann-Klinik sind. Schließlich haben wir zwei.«
»Aber ich bin immerhin der erste«, bestand Dr. Wagner eigensinnig. »Und es fällt auf mich zurück. Man wird annehmen, daß ich der Operateur war …«
»Weiß der Chef schon Bescheid?« Heidmann reichte Dr. Phisto die Zeitung zurück.
»Ich weiß es nicht. Ich habe die Zeitung gerade vom Händler bekommen, als er das Krankenhaus betrat …«
Oberarzt Wagner stöhnte. »Jetzt werden die Patienten das lesen! Das macht den Leuten doch Angst. Ich würde mich nicht wundern, wenn ein Massenauszug aus der Bergmann-Klinik stattfände und kein Mensch mehr zu uns käme. Mich werden alle vorwurfsvoll ansehen …«
»Nun hören Sie endlich mit Ihren larmoyanten Klagen auf! Schließlich geht es hier um die Ehre von Oberarzt Bruckner.« Dr. Phisto wurde ärgerlich. »Ob er es schon
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