Angeklagt - Dr. Bruckner
habe ihn gerade gebracht.« Der Pfleger Buhmann betrat den Waschraum. Er blieb händereibend an der Tür stehen und fragte Dr. Bruckner: »Soll ich ihn schon auf den Operationstisch legen?«
»Dr. Phisto ist auch noch nicht gekommen?«
»Nein! Aber ich habe ihn vorhin ins Kasino gehen sehen«, erklärte Siegfried Buhmann. »Wahrscheinlich frühstücken die Herren noch.«
»Nun ja, ich möchte nichts entscheiden, bevor nicht der Anästhesist da ist. Er muß ja wissen, ob er den Patienten auf dem Operationstisch narkotisieren will, oder ob er das vorher macht.«
»Eine Beruhigungsspritze hat er von mir schon bekommen.«
Schwester Angelika stand im Waschraum. »Er hat sich ganz gut mit seinem Schicksal abgefunden.«
»Ein armer Mann«, ertönte Buhmanns Stimme. »Er ist doch inoperabel, nicht wahr?«
»Ja, er hat bereits Lungenmetastasen.« Dr. Bruckner hing sich die große Gummischürze über, schlüpfte in die Gummischuhe und band sich einen Mundschutz vor das Gesicht.
Der Pfleger Buhmann reichte ihm eine Mütze. Dr. Bruckner setzte sie auf, schaute schmunzelnd in den Spiegel über den Waschbecken und lächelte. »Mich amüsiert jedesmal diese Verkleidung. Man erkennt sich selbst nicht wieder, wenn man sich im Spiegel betrachtet. Ich werde mich auf jeden Fall schon ein mal waschen.« Er setzte sich auf einen Schemel vor dem Waschbecken, drehte mit dem Ellenbogen den Mischhahn auf und stellte den Wasserfluß so ein, daß die Temperatur handwarm war.
»Ich frage mich manchmal, ob man solche Patienten überhaupt noch operieren soll.« Buhmann war neben Dr. Bruckner getreten, jedoch Schwester Angelika winkte ab.
»Stören Sie Dr. Bruckner doch jetzt nicht mit solchen Fragen«, wies sie ihn zurecht; aber Bruckner schüttelte den Kopf.
»Warum nicht, liebe Schwester Angelika? Ich habe jetzt Zeit, und ich freue mich, wenn unser Pflegepersonal sich für die Patienten interessiert. Nicht nur für die Patienten, sondern für unsere Probleme allgemein. Sehen Sie –«, Dr. Bruckner schäumte seine Hände mit Seife ein und betrachtete den Pfleger durch den Spiegel, »Aufgabe des Arztes ist es, Leben zu erhalten und nicht zu zerstören. Wir haben kein Recht, einen Menschen ins Jenseits zu befördern, nur weil er nach unserer Auffassung unheilbar ist. Sie dürfen nicht vergessen, daß wir ja immer noch nicht wissen, was der Krebs wirklich ist.
Vielleicht hat heute schon jemand das Geheimnis gelöst und das Mittel gegen den Krebs in der Schublade. Wenn wir unseren Patienten dort –«, Dr. Bruckners Blicke gingen zum Nebenzimmer hin, in dem sich der Vorbereitungsraum befand, »heute von seinen – wie sagt man doch – Leiden erlösen und wir morgen erfahren, daß wir das Allheilmittel haben, würden wir doch uns ewig Vorwürfe machen, nicht wahr?«
Der Pfleger Buhmann schüttelte den Kopf. »So etwas gibt es doch nicht. Das kommt doch nur in Märchen vor!«
»O nein –«, Dr. Bruckner hob mahnend seinen Zeigefinger, »denken Sie nur einmal an die Medizingeschichte. Sie werden vielleicht wissen, daß es einmal eine unheilbare Krankheit gab, die man ›perniziöse Anämie‹ nannte. Wenn man Ihrer Meinung beipflichtet und alle unheilbaren Krankheiten ausrotten wollte, hätte man damals alle Patienten, die an dieser Krankheit litten, eigentlich ins Jenseits befördern müssen. Nun hatte aber eines Tages ein Arzt die zündende Idee, daß man die Krankheit zwar nicht heilen, aber ihre schweren Folgen abwenden konnte, wenn man den Kranken rohe Leber verabfolgte. Die Erfolge traten schlagartig ein. Das gleiche galt für die Zuckerkrankheit, die früher auch einmal unheilbar war. Auch die Tuberkulose ist durch die moderne Chemotherapie, die ja irgendwann einmal erfunden werden mußte, zu einer heilbaren Krankheit geworden. Schon aus diesem Grunde steht es einem Arzt nicht an, Mithilfe zu leisten, wenn man vielleicht aus Mitleid einen Menschen vom Leben in den Tod befördert. Das ist nach Paragraph 216 des Strafgesetzbuches auch unter Strafe gestellt.«
»Nun kommen Sie mal, und halten Sie unseren Oberarzt nicht auf.« Schwester Angelika faßte den Pfleger energisch beim Arm und zog ihn aus dem Waschraum.
»Sie müssen den Patienten endlich vorbereiten. Die Herren können jeden Augenblick hier sein. Der Patient muß aufgelegt werden. Ich glaube –«, sie lauschte nach draußen, »sie kommen schon!«
»Das ist ja unerhört, was Sie mir da sagen!« Professor Bergmann war aufgeregt von seinem Schreibtischsessel
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