Angeklagt - Dr. Bruckner
Pfleger warf einen scheuen Blick auf die beiden Ärzte. Dann sagte er: »Ich wollte endlich einmal meine Spritze abholen.«
»Da hinten liegt sie, im Instrumentenraum. Aber sagen Sie –«, sie begleitete den Pfleger in den Nebenraum, »wozu brauchen Sie die Spritze?«
»Vielleicht leidet er an Verstopfung!« Dr. Phisto war den beiden gefolgt und deutete grinsend auf die große Spritze, die der Pfleger jetzt in der Hand hielt. »Damit kann man ausgezeichnete Klistiere machen. Im Mittelalter hat man alle Krankheiten damit behandelt. Die Leute bekamen so häufig Einläufe, daß sie dann nicht an der Krankheit, sondern am Einlauf starben.« Er streckte seine Hand aus. »Zeigen Sie mir das Ding doch mal her.«
Buhmann hielt die Spritze wie ein trotziges Kind hinter dem Rücken. »Nein …«
Dr. Phisto schaute ihn erstaunt an. »Manieren sind das! Nun gut – sie gehört Ihnen. Viel Spaß damit. Und verletzten Sie sich nicht den Darm, wenn Sie sich selbst einen Einlauf machen«, rief er Buhmann nach, als der schon auf dem Flur stand.
»Ich mag ihn zwar auch nicht«, meinte Dr. Heidmann, »aber man sollte den armen Kerl doch nicht allzusehr ärgern. Ich habe das Gefühl, daß ihn hier jeder auf den Arm nimmt.«
»Der scheint nicht ganz richtig im Kopf zu sein!« Dr. Phisto setzte sich neben den Schreibtisch. »Wenn man den so reden hört, hat man das Gefühl, daß er eigentlich in eine Anstalt gehört.«
»Vielleicht leidet er an religiösem Wahn?« versuchte Schwester Angelika eine Diagnose zu stellen. »Er redet so viel vom Frieden des Todes, vom Jenseits …«
»Dann sollte er sich doch umbringen«, erklärte Dr. Phisto herzlos. »Ich muß sagen, daß ich dieses Erdendasein sehr angenehm finde, ich möchte noch recht lange damit warten, bis ich im friedfertigen Jenseits lande. Hat jemand etwas von Dr. Bruckner gehört?«
»Nein! Er ist wie vom Erdboden verschwunden. Ich habe neulich einmal versucht, Professor Bergmann daraufhin anzusprechen, aber der alte Herr hüllt sich in Schweigen. Man hat das Gefühl, daß alle froh sind, ihn endlich losgeworden zu sein. Man schweigt ihn tot. Das ist auch eine Möglichkeit, etwas Unangenehmes aus der Welt zu schaffen.«
»Es ist schon traurig!« Johann Heidmann zuckte resignierend mit den Schultern. »Da war man nun so gut wie befreundet mit ihm – jahrelang –, und am Ende haut er ab und sagt nicht einmal, wo er ist.«
»Er wird sich wie ein krankes Tier in seine Höhle zurückgezogen haben«, meinte Schwester Angelika. »Er wird hervorkommen, wenn er sich von seinen seelischen Schmerzen und seiner Enttäuschung erholt hat.«
»Wenn man wüßte, wo er ist, könnte man ihn doch wenigstens anrufen, könnte sich mit ihm unterhalten. Wie oft haben wir abends ein Gläschen Wein zusammen getrunken. Das würde ihn doch ablenken.«
»Sie sollten wissen, daß man eine Depression nicht dadurch beseitigen kann, daß man dem Kranken Grimassen schneidet und versucht, ihn zum Lachen zu bringen. Das drückt ihn nur noch tiefer in die Depression hinein.«
»Aber Dr. Bruckner ist doch nicht krank«, protestierte Johann Heidmann. »Er war nie krank.«
»Vielleicht ist er es durch diese Affäre geworden? Aber irgendwann wird er schon wieder auftauchen. Professor Bergmann hat auch gemeint, daß er eine gewisse Zeit braucht, um sich mit dem abzufinden, was geschehen ist.«
»Hoffentlich hat Oberarzt Wagner ihn dann nicht vollkommen von seinem Platz verdrängt. Abwesenheit läßt Liebe ja nicht wachsen – im Gegenteil! Ich habe Herrn Wagner noch nie so oft beim Chef gesehen wie gerade in den letzten Tagen. Außerdem schleicht er dauernd auf meiner Station herum.«
»Warum soll der Patient verlegt werden?« Schwester Angelika lief wie ein aufgeregtes Huhn durch die Station. »Er hat doch ein Einzelzimmer. Warum in dieses Sonderzimmer der Intensivstation? Glaubt man höheren Orts, daß er bei uns nicht gut genug aufgehoben ist?« Schwester Angelika redete auf Oberarzt Wagner ein, der die Anordnung zur Verlegung gegeben hatte.
»Es ist mit dem Chef so abgesprochen worden.« Oberarzt Wagner blieb gelassen. Ganz im Gegenteil zu seinem sonstigen Verhalten schien er von den Tiraden Schwester Angelikas gar nicht berührt zu sein.
»Hat das nicht bis morgen früh Zeit?« Schwester Angelika konnte sich nicht beruhigen. »Wir haben viel zu wenig Personal und alle Hände voll zu tun. Eine solche Verlegung bedeutet immer Personalaufwand.«
»Nein, tut mir leid. Der Chef hat angeordnet,
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