ANGEL - Wolfsmensch (German Edition)
mochte. Mittlerweile war er es gewohnt, dass sich jeder Sterbliche vor ihm fürchtete. Manchmal gab es jedoch Tage, da sehnte er sich nach jemandem, der sich ihm weder unterwarf noch ihn fürchtete.
Aber er wäre nicht er, wenn er daran nicht schon arbeiten würde.
Bald! , dachte er sich mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen, bald ist es soweit! Noch diesen Sommer wird es geschehen. Der erste Teil des Plans wird in die Tat umgesetzt. Fast zweitausend Jahre habe ich gewartet. In den Schatten. Im Verborgenen. Auf die Stunde, in der die Saat für mein neues Ich gesät wird!
Kapitel VI
Mit Wehmut beobachtete ich aus meinem Versteck, wie die Sonne über den Horizont kroch. Langsam ergoss sich ihr goldenes Licht auf die Straßen und Dächer. Die Luft war selbst in der schwindenden Dunkelheit stickig und so dick, dass man sie fast schneiden konnte.
In meinem Fell trocknete das Blut. Der Junkie, den ich diese Nacht getötet hatte, war die erste Nahrung seit vier Wochen.
Seit ich von Craven fort war, hatte ich nichts mehr gegessen. Ein Dach über dem Kopf hatte ich auch nicht. Mit meinen wenigen Habseligkeiten wohnte ich im Park. Zwischen jenen Menschen, die ich für gewöhnlich jagte. In den dunkelsten Stunden der Nacht badete ich im Teich, damit ich wenigstens nicht stank, wie die Menschen unter denen ich lebte. Berlins Straßen waren rau. Schon so manche Nacht hatte ich bereut, ausgerechnet hierher geflogen zu sein. Mit dem wenigen Geld, das Victor mir zugesteckt hatte, hatte ich den erstbesten Flug genommen, der vom London Heathrow Airport abging. Ganz egal wohin. Hauptsache weg. Weg von zu Hause.
Meine Klauen gruben sich in die Erde, als ich daran zurückdachte. Das war so erbärmlich ...
Aber ich hatte nicht bleiben können. Nicht nachdem, was geschehen war.
Nicht nachdem ich herausgefunden hatte, was ich war.
Unsterblich.
Mein Verstand spuckte das Wort aus wie eine Krankheit. Ich war nun ein Monster unter Monstern. Einfach wieder aufgestanden, wo ich eigentlich tot hätte sein müssen. Nach nur wenigen Momenten, die ich verdreht und mit gebrochenem Genick auf dem Boden gelegen hatte.
Die Blicke der anderen würde ich niemals vergessen. Angestarrt wie ein Alien hatten sie mich. Als wäre ich nicht normal.
Aber das war ich ja auch nicht. Ich konnte nicht sterben. Und, weiß Gott, ich hatte es versucht!
Kein Wort glaubte ich ihnen, als sie mir sagten, dass ich gestorben und einfach wieder aufgestanden sei. Aber wer würde das schon glauben?
Keine vierundzwanzig Stunden hielt ich diese Ungewissheit aus. Als alle schliefen, schlich ich mich ins Bad. Ich setzte mich in die Badewanne und schlitzte mir mit einem silbernen Messer beide Unterarme auf, bis hoch zum Ellbogen. Es blutete schrecklich. Wenigstens einige Minuten lang. Gemächlich und so, als besäßen sie alle Zeit der Welt, schlossen sich die tiefen Schnitte. Millimeter um Millimeter. Bis sogar die blassen Narben verschwunden waren.
Mir wurde schwindelig, als mir klar wurde, was das bedeutete. Nicht einmal Silber wirkte bei mir. Es verlangsamte unsere Wundheilung extrem, so, dass sogar ein Werwolf verbluten konnte. Aber ich nicht. Ich … nicht …
Verborgen unter einem weitläufigen, dichten Buschwerk irgendwo mitten im zoologischen Garten lag ich und wartete auf meine Verwandlung. Neben mir in einer Plastiktüte lagen meine Kleider und das Wenige, was ich besaß.
Müde warf ich durch die Zweige einen Blick zum Himmel. Es würde noch eine Weile dauern, bis die Sonne weit genug aufgegangen war und der Moment kam, der den Schmerz auslöste. Seufzend ließ ich den Kopf auf die Pfoten sinken.
Ich würde warten müssen.
Vielleicht schaffte ich es, eine Weile zu schlafen. Der Schmerz würde mich schon wecken ...
Ein schrilles, lautes Fauchen schreckte mich nur kurze Zeit später unsanft aus meiner Ruhe. Das Geräusch kam mir sofort bekannt vor. Ich drehte den Kopf und lauschte in die verblassende Nacht.
Zuerst war da nur Stille, aber dann hörte ich es erneut. Dieses katzenähnliche, drohende und zugleich lustvolle Fauchen. Diesmal aber viel leiser.
Ein unverkennbares Geräusch. Langsam kroch ich aus meinem Gebüsch hervor. Das wollte ich mir aus der Nähe ansehen.
Kaum einen Steinwurf von mir entfernt sah ich ihn schon. Gehüllt in eine weite, zähe Nebelwolke, deren Schwaden zwischen den umstehenden Bäumen umherkrochen.
Dicht am Boden drang ich ins Zentrum des Nebels vor, ahnte bereits, was mich erwartete und ich wurde nicht
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