ANGEL - Wolfsmensch (German Edition)
Kreatur, die nun langsam einen Streifen Papier in Raphaels Richtung schob.
Der Erzengel versuchte, nicht allzu genau hinzusehen. Versuchte, die langen, viergliedrigen Finger mit den wulstigen Gelenken und den harten, mattgelben Schuppen einfach zu übersehen. Wenig war ihm bisher begegnet, dass noch abscheulicher war, als dieser Dämon.
Als die Klaue verschwunden war, nahm Raphael den Zettel auf und lächelte zufrieden. Nun musste nur noch Mariel ihre Aufgabe erfüllen und alles würde sich zum Guten wenden.
*
Ihr Geruch war ihm so vertraut. Schwerer, süßer Nachtjasmin. Tief in ihm regte er an einem Gedanken, den er schon sehr lange verdrängt hatte und an den er sich kaum noch erinnerte. Er gehörte zum Tage seiner Erschaffung vor so unendlich vielen Jahren.
Sie war da gewesen.
Aber warum fiel ihm nicht mehr ein. Doch jetzt war sie hier und er begehrte sie. Das Verlangen nach ihr hatte sich mit seinem grausamen Hunger vermischt. Bis diese Frau in sein Leben getreten war, war er sich sicher gewesen, bereits die schlimmsten Qualen dieser Welt erlebt zu haben. Jetzt wusste er, dass er sich geirrt hatte. Nicht einmal eintausendsiebenhundert Jahre Hunger waren vergleichbar mit dem, was er jetzt fühlte.
Wer auch immer Angel war, sie war etwas Besonderes. Sie faszinierte ihn auf eine Art, die er noch nicht kannte. Eine Weile hatte er es für bloßen Entzug gehalten. Die lange Enthaltsamkeit als Ursache vorgeschoben. Doch das war es nicht.
Er beobachtete sie, wie sie ihm gegenüber an der Wand neben dem schmalen Fenster saß. Ihre Augen waren geschlossen, aber er wusste, dass sie nicht schlief. Sie lauschte. Auf ihn und auf Geräusche von draußen. Vorhin sagte sie ihm, dass vielleicht jemand käme, der ihre Flucht verhindern wollte, aber dass sie ihn beschützen würde.
Ihm gefiel ihre Fürsorge nicht. Mittlerweile mochte man seine Vorstellungen vom Geschlechterverhältnis mittelalterlich nennen, aber er war dafür da, sie zu beschützen und nicht umgekehrt!
Wenngleich er zugeben musste, dass er gerade nicht dazu in der Lage war.
Ira hatte es Angel nicht gesagt, und wenn es nach ihm ginge, würde er das auch nicht, aber der Hunger quälte ihn bereits wieder. Nach einer so langen Zeit des Hungers würde er sich sehr oft nähren müssen, bis er wieder er selbst war.
Mit all seiner Willenskraft verbot er es sich, diesen Hunger zuzulassen. Er hatte sie nun wahrlich schon genug belastet. Ihr viel zu viel genommen. Sie war müde und geschwächt. Das Schrecklichste daran war nur, dass er ihr absolut nichts zurückgeben konnte. Langsam nur sank die Sonne dem Horizont entgegen. Es war wohl erst später Nachmittag, als Angel sich erhob und die Arme streckte. Sie warf einen Blick aus dem schmalen Fenster und sah ihn dann nachdenklich an.
„Du siehst nicht gut aus“, sagte sie unumwunden, „Aber wir sollten nicht länger warten. Nutzen wir das restliche Tageslicht, um ungesehen durch die Stadt zu unserem Hotel zu kommen.“
Mit zwei schnellen Schritten war sie bei ihm, doch er lehnte ihre angebotene Hand ab und stand allein auf. Auch, wenn es ihn beinah alle Kraft raubte. Angel bedachte ihn daraufhin nur mit einem abschätzigen Blick und wandte sich stattdessen dem Fenster zu. Ohne ein weiteres Wort, stopfte sie ihren Rucksack durch das Loch, zog sich hinauf und kroch nach draußen. Ira wartete und nur einen Augenblick später erschienen ihre Hände um ihn hinaufzuziehen.
Selbst, wenn er es vorher gewusst hätte, auf den Anblick, der sich ihm bot, wäre er nicht vorbereitet gewesen.
Ihm stockte der Atem, als er an der freien Luft aufrecht stand und einen ersten Blick in die Runde warf. Er erinnerte sich an Rom, die traumhafte, blühende Stadt, die sie einst gewesen war. Aber das, was er hier vor sich sah, am Fuße des Hügels, auf dem er stand ... Das waren bloß noch Ruinen. Stinkende Ruinen.
Die Luft, die er atmete, war aber wohl das Schrecklichste an diesem Anblick. Alles stank. Er roch Milliarden Menschen, Tiere und etwas, das noch Abscheulicher war, als die schlimmste Pestgrube aus seiner Erinnerung.
Keuchend schlug er sie die Hände vor Mund und Nase, aber auch das half nicht viel.
„Abgase.“
Er verstand nicht, was sie ihm damit sagen wollte und starrte sie verwirrt an.
„Das ist ein Nebenprodukt der technischen und industriellen Weiterentwicklung. Wenn wir in der Stadt sind, wirst du es sehen. Es gibt Abermillionen Maschinen, die sich mithilfe von verbrannten Ölen bewegen. Ich hoffe, so
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