ANGEL - Wolfsmensch (German Edition)
Für ihn musste dieser Aufstieg eine wahre Tortur gewesen sein. Immerhin war er nicht einmal annähernd bei Kräften.
Ich suchte mein Handy aus dem Rucksack heraus, in der Hoffnung genug Empfang zu haben, um Hilfe zu rufen. Wie sich leider herausstellte, hatte das Ding meinen Sturz nicht überlebt. Das hieß, dass wahrscheinlich auch der GPS-Chip kaputt war und Robin uns nicht orten konnte. Nicht, dass ich dieser Technik sonderlich vertraute. Ich fluchte leise und pfefferte den Plastikscherbenhaufen in eine Ecke.
Ira sah kurz auf und musterte das defekte Gerät. „Ihr habt wirklich seltsame Erfindungen ...“, murmelte er und nach kurzem Schweigen fügte er hinzu, „Welches Jahr haben wir?“
Ich stutzte und wurde mir zum wiederholten Male bewusst, dass er keine Ahnung hatte, was Technologie war. All die Annehmlichkeiten, die mir so vertraut war, waren für ihn fremd. Sein Wissenstand endete im Jahre 296 nach Christus.
„1996“, erklärte ich leise. Ira schluckte. Mehrmals. Ich sah es förmlich in seinem Kopf arbeiten, als er versuchte, sich der Zeit klarzuwerden, die ihm fehlte.
„Fast zweitausend Jahre ...“, sagte er tonlos. Ich nickte nur und packte meine Ausrüstung in den Rucksack zurück. Ich wollte mir nicht einmal ausmalen, was gerade in ihm vorging.
„Du hast einiges verpasst“, murmelte ich und warf mir das Gepäck über die Schultern. „Es hat sich unbeschreiblich viel verändert. Dich erwartet viel Neues, wenn wir da jetzt rausgehen.“
Endlich sah er mich wieder an und in seinem Blick mischten sich Wut und Schmerz. „Wenn ich ihn finde! Den, er mich hier eingesperrt hat! Ich schwöre dir, kein Lebewesen auf der ganzen Welt hat je einen grausameren Tod erlitten.“
Mich schauderte es bei dem flammenden Hass, den ich in ihm spürte. Sein Kidnapper konnte sich wirklich auch etwas gefasst machen. Und das gleich im doppelten Sinne. Ich würde mir die Jagd nach diesem Bastard nicht nehmen lassen.
„Kannst du schon weiter? Soweit ich weiß, macht dir die Sonne ja nicht so viel aus. Aber da wir in Italien sind, ist es ziemlich warm draußen. Wir können auch noch eine Weile warten, wenn dir das lieber ist.“
Ira wiegte leicht den Kopf, machte aber keine Anstalten aufzustehen. „Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich gerne noch etwas hier im Schatten bleiben. Sonne ... bekommt mir nicht sehr gut.“
Ich hob nur die Schultern und setzte den Rucksack wieder ab. „Dann warten wir noch, bis die Sonne untergeht.“ Ich hoffte nur, dass niemand auf unsere Flucht aufmerksam geworden war. Diese ganze Sache war doch eigentlich viel zu einfach gewesen.
*
Erschöpft sank Belial auf dem Balkon des Hotelzimmers nieder. Claude war nicht gerade zimperlich mit ihm umgegangen.
Nur mit Mühe war er dem Zorn des Magiers entkommen. Natürlich hatte er erwartet, dass Claude die Beherrschung verlieren würde, sobald er erfuhr, dass er Iras Bannfeld gelöst hatte. Und Angel den entscheidenden Hinweis hatte zukommen lassen. Da hatte sein Freund damals sein Leben in Gefahr gebracht, um Ira gefangen nehmen zu lassen und nun machte Belial ihm diesen Plan so hinterrücks zunichte.
Aber Belial spielte nicht nur auf seiner Seite.
Er hatte nicht nur die Pflicht Robin vor jedwedem Unheil zu beschützen, sondern auch die Pflicht seinem Vater gegenüber.
Luzifers Plan würde sich früher oder später erfüllen und Belial hatte den einzigen Weg gewählt, um sowohl seine Interessen Robin gegenüber, als auch die seines Vaters gebührend zu vertreten.
Er hatte Angel geopfert, um Robin zu schützen und Luzifer zufriedenzustellen.
Das war gewiss kein besonders netter Schachzug gewesen, aber Robin war die Einzige, die für ihn zählte. Was Angel für Claude war, war Robin für ihn. Ihr Glück, welches sie gerade in dem Warg Tony gefunden hatte, ging ihm über alles. Auch über seine ewige Freundschaft zu Claude.
Es tat ihm in seiner schwarzen Seele weh, seinen Freund so zu hintergehen, aber es war notwendig. Nur so hatte Robin eine Zukunft.
Blutend und kaum noch atmend lehnte sich der Satan an die raue Wand. Auch wenn er es nicht wollte, er musste Robin jetzt nahe sein. Ihre Gegenwart ließ all seine Wunden schneller heilen. Er ließ den Kopf zur Seite sinken und warf einen sehnsüchtigen Blick ins Innere des Hotelzimmers. Die Sonne war noch nicht völlig untergegangen, aber von seiner Position aus, konnte er etwas unter den Vorhängen hindurchspähen. Er sah, wie Robin durch das Zimmer lief. Eilig.
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