Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
sitzen.
Zugegeben, deshalb durchschaut man noch lange nicht, warum sie über den strauchelnden Bundespräsidenten Christian Wulff politisch nie den Stab gebrochen, aber einen glücklosen Umweltminister nach einer Wahlniederlage brutal gefeuert hat, oder warum sie auch in einer schwarz-gelben Regierungskoalition mit Bundesrats-Mehrheit keine richtige Steuerreform machen wollte. Man kann in dem Konferenz-Abteil noch nicht einmal in ihre Unterlagen spinxen, die sie meistens in einer blauen Mappe oder als in Plastik eingeschweißte DINA 5-Sprechzettel auf den Oberschenkeln liegen hat. Aber irgendwie darf man sich trotzdem einbilden, Angela Merkel auf solchen Reisen besser in den Fokus zu kriegen, besser ein Gefühl für ihre Person und ihr politisches Wesen zu entwickeln – also für Angela Merkel als Mensch und als Maschine.
Unter dem Strich kann man sagen: Die Maschine Merkel, das ist die mit den runterhängenden Mundwinkeln. Der Mensch Angela Merkel lacht gern. Müsste man es in einem einzigen Wort zusammenfassen, es hieße: angenehm, sie ist wirklich angenehm. Man fährt gern mit und nicht nur, weil man ja muss. Es ist wie Klassenfahrt, wobei offenbleiben kann, ob Angela Merkel nun die Klassenlehrerin ist oder die Klassensprecherin.
Nett wäre dagegen nicht das richtige Wort für Angela Merkel, weil es wie ein anderes Wort für naiv klingt, und das ist sie bestimmt nicht. Auch lustig oder amüsant trifft nicht den Punkt. Man kann mit Angela Merkel zwar gut lachen, und sie lacht selber gern. Gelegentlich auch über sich selbst, weil sie im achten Amtsjahr unverändert zum Blick von außen auf sich selbst und den vielschichtigen Kokon des Amtes fähig ist. Auf ihrer allerersten Dienstreise nach Paris und Brüssel im Herbst 2005 wurde sie gefragt, was sie am meisten an der neuen Situation beeindrucke. Antwort, nach kurzem Zögern: »Die Infrastruktur«. Als Beispiel nannte sie aber nicht die dicke Dienstlimousine, das Krypto-Handy oder ihre BKA -Entourage, sondern ihren ersten Anruf von außerhalb im eigenen Büro. Weil sie ihre Büro-Durchwahl noch nicht im Kopf hatte, rief sie damals also in der Zentrale des Bundeskanzleramtes an – und musste einer verdutzten Telefonistin erklären, dass sie »wirklich Angela Merkel sei, ja, ja, die neue Chefin, ja richtig, seit vorgestern …« Großes Gelächter im Flieger, gute Show, feines Maß an Selbstironie.
Überhaupt: Das Lachen der Kanzlerin ist ansteckend. Sie kann sich wegschütten vor freundlich-schadenfrohem Kichern. Zum Beispiel, wenn sie erzählt, wie vor Jahren der litauische Ministerpräsident mit dem Rad unterwegs ist und an der Grenze zur Ukraine nach der Baustelle des neuen ukrainischen Atomkraftwerks sucht, durchs Unterholz stapft, das Fernglas zückt, aber die Großbaustelle partout nicht finden kann. Oder wenn sie ohne großen Zusammenhang erzählt, was es mit dem krummen U-Boot für Griechenland auf sich hat. Das haben die Deutschen nämlich vor Jahren geliefert, aber die Griechen bezahlen nicht, weil es eben »krumm« sei, erzählt die Kanzlerin und muss das erste Mal kichern. Unzählige U-Boot-Vermesser seien inzwischen auf dem Gefährt herumgekrabbelt, ohne Ergebnis. Aber die Griechen beharrten darauf: Es sei krumm, und die ganze Welt außer den Deutschen wüsste, dass … Den letzten Satz kriegt sie nicht mehr zu Ende, weil sich ihr Kichern in einen Lachkrampf gesteigert hat. »Krumm …, ein krummes U-Boot!«
Da lief ganz offensichtlich ein sehr skurriler Film in ihrem Kopf ab. Dagegen fanden die Zuhörer um Merkel herum die Geschichten selbst eigentlich gar nicht soooo komisch. Ihnen fehlte der Film im Kopf. Angela Merkel aber konnte sich kaum halten – und deshalb mussten alle, angesteckt, mitlachen. Trotzdem: »Lustig« nennt man wohl eher Leute, die es regelmäßig auf einen Lacher anlegen. Aber die Kanzlerin kann herrlich überzeugend so tun, als würde sie von einem Lacher im Publikum völlig überrascht, weil sie gar nicht gewusst haben will, dass sie gerade etwas zum Lachen oder Kichern von sich gegeben hat.
Wenn sie dann, etwas verzögert, auch mitmacht, also ihrem eigenen Witz hinterherlacht, dann nennen das viele »mädchenhaft«. Thomas Gottschalk erzählte nach der Verleihung der »medal of freedom« an Angela Merkel (2011), dass er Merkel nun schon seit längerem immer wieder einmal treffe und von einer stets »fast mädchenhaften Reaktion, wenn sie sich über etwas freut. Das steht ihr gut«. Tatsächlich ist »mädchenhaftes
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