Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
»Ich bin noch nicht fertig, darum muss ich bleiben« – das würde quer zur politischen Lebenslogik der Angela Merkel stehen. Diese Haltung nimmt ihr den letzten Biss, den ein Regierungschef braucht, um ein großer zu werden, so sagen ihre Kritiker. Aber es macht in jedem Fall freier bei der Wahl des Moments zum Ausstieg.
Das gilt ebenso für ihre Partei. Merkel hat sich deren Modernisierung vorgenommen und sie ein großes Stück vorangetrieben. Machtbewusst war sie dabei, wohl wahr. Einer ihrer schönsten Sätze dazu lautet: »Als Chef muss man daran arbeiten, dass sich keiner traut, dabei erwischt zu werden, dass er nicht am selben Strang zieht.« Trotzdem gilt auch hier: Es gibt aus Merkels Sicht keinen Punkt, den man erreichen müsste, um von Erfolg und Abschluss reden zu können. Viel wichtiger wäre ihr, Kanzlerschaft und Parteiführung an eine und nicht zwei Personen übergeben zu können. Das hält sie für die einzig tragfähige Konstruktion, auch nach ihrer eigenen Zeit. Es sind die Parteien, die letztlich bestimmen, also die Parteichefs. Und das ist gut so, das muss so sein, denkt Angela Merkel.
Was würde der CDU dann fehlen? »Ich würde der CDU fehlen«, sagte Angela Merkel im Interview mit Hugo Müller-Vogg. Man schrieb 2003, da war sie gerade zwei Jahre Parteichefin, und die Kochs, Merz‘, Wulffs und Stoibers waren noch alle um sie herum. 2015 wäre sie im 15. Jahr, und sie hätte alle überlebt. Sie würde der CDU fehlen, wahrscheinlich. Aber würde die CDU auch ihr fehlen? Oder das Kanzleramt?
Was kommt am Tag danach für Angela Merkel? Die Fallhöhe ist klar, die Tiefe des Loches, in das sie stürzen könnte. Einer ihrer Vorgänger hat einmal gesagt: »Kanzler sein, das ist, wenn alles, was in der Republik passiert, mit dir zu tun hat.« Nicht mehr Kanzlerin zu sein, bedeutet also auszuhalten, dass fast nichts mehr, was in der Republik passiert, mit einem zu tun hat. Es ist schiere Spekulation, ob und wie sie damit klarkäme. Aber sicher könnte man mit diesem Tipp sein: Gerhard Schröder wird sie auch in diesem Punkt nicht nachahmen. Er ist und bleibt Merkels Gegenpol, erst recht in Stilfragen. Als solche nimmt sie wahr, was ein Kanzler nach Ende seiner Amtszeit tun darf – und was nicht, weil er dem Amt auch über das Ende hinaus Respekt schuldet. Einen halbseiden beleumundeten Job von Gnaden der russischen Staats-Oligarchie anzunehmen, käme ihr nicht in den Sinn. Es zu tun, um sich endlich sehr teure Zigarren und sehr teuren Rotwein zu leisten, schon gar nicht. Angela Merkel kann sehr lobend und voller Respekt von ihrem Vorgänger sprechen. Voller Verachtung aber auch.
Nein, wenn, dann sehen die Deutschen ihre dereinst gewesene Kanzlerin nach einer Pause für ausgedehente Reisen in einem öffentlichen internationalen (Ehren-)Amt wieder. Ruf und Rang, bei der EU oder UNO ein wichtiges zu ergattern, hätte sie – vorausgesetzt, sie bleibt 2013 Kanzlerin. Wahlverlierer wie der britische Premier Tony Blair werden, wenn überhaupt, nur glücklos-überflüssige Nahost-Sonderbeauftragte. Reizen würde sie an einem internationalen Posten vor allem die Mechanik, nicht so sehr die Macht. Wie es um den Einfluss der UNO bestellt ist, weiß sie sehr wohl und kann hart darüber spotten. Und dass die Europäische Union für ein weiteres Jahrzehnt überwiegend die Sache der Nationalstaaten bleiben wird, der Großen zumal, das weiß sie erst recht. Vor Jahren gefragt, ob sie nicht einmal EU-Kommissionschef sein wolle, zitierte sie Joschka Fischer. Der habe »zur Abwechslung einmal etwas Kluges gesagt. ›Erst wenn Merkel und Sarkozy sich um den Kommissionsvorsitz prügeln, ist Europa wirklich wichtig.‹« Sie aber werde nicht mehr erleben, dass sich amtierende Regierungschefs der großen Mitgliedsstaaten um den Posten in Brüssel raufen würden. So Merkels Prognose.
Dennoch: Reizen würde sie die Mechanik und das, ja, »Systemische«. Intellektuell macht ihr seit Jahren am meisten Freude, strategisch über die Systemkonkurrenz zwischen gelenkten und freien Volkswirtschaften bzw. Demokratien nachzudenken. Über die Frage, was aus den Sozialstaats-Demokratien in Europa wird, wenn das vordemokratische Modell China wirtschaftlich siegt, weil es besser performt. Ob die Europäer dann zuerst ihren Sozialstaat oder ihre Demokratie zur Disposition stellen. Oder ob sie rechtzeitig ihren eigenen neuen Weg finden, so erfolgreich wie die beiden Jahrhunderte zuvor – und diese Entscheidung zwischen Wohlstand und
Weitere Kostenlose Bücher