Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
Rahmen der vorgefundenen Gegebenheiten erreicht? Und es beschreibt Angela Merkel präzise, dass sie wohl diejenige deutsche Spitzenpolitikerin ist, deren Werte bei Optimum und Maximum am weitesten auseinanderklaffen. Sie ist die Kanzlerin des Optimums, Topnote. Sie ist nicht die Politikerin des Maximums, darin nur schwacher Durchschnitt.
Henry Kissinger sagte schon sehr früh über Angela Merkel, sie sei »der perfekte Ausdruck ihrer Zeit«. Was so viel heißt wie: In einer komplizierten Welt, die jeden Tag komplizierter wird, gibt es weder »Projekt« noch politische Vision, mit der die Kanzlerin zu entschlüsseln wäre. Nein, es ist das Agieren, seit fast acht Jahren das Regieren, das sie entschlüsselt; die Praxis, nicht das Programm. Deshalb stimmt: Sie könnte seit mehr als 20 Jahren, es hätte nur einiger kleiner Wendezeit-Zufälle bedurft, auch in der SPD sein. Dann sähe die SPD heute freilich ganz anders aus. So ganz anders wie die heutige CDU im Vergleich zur CDU von 1990.
Es geht also um die mächtigste deutsche Politikerin der Nachkriegszeit – die aber instinktiv alles vermeidet, was große Thesen nährt, weil sie große Thesen für eine verkopfte, tendenziell überflüssige Kunstform hält. Erst recht nach mehr als vier Jahren Regieren im Krisen-Modus hat sie eine wirklich radikale Abneigung gegen alle pauschal abgefassten, thesenartigen Erklärungen, mit denen Außenstehende das Handeln von Politikern traktieren. Zu viel davon ist Zufall, findet sie, zu viel kommt aus der Lage, nicht aus den Lehrbüchern. Wer Angela Merkel verstehen will, muss sie also beim Machen verfolgen, nicht beim Philosophieren. Und da ist viel bislang Unbeobachtetes zu beschreiben.
Es hat etwas massiv Frustrierendes, dass selbst polit-professionelle Nahe- und Drumherumsteher, wie es Hauptstadt-Journalisten nun einmal sind, beim Party-Geplänkel nicht uneingeschränkt herausragen wie die Leuchttürme – und die übrigen Gäste entsprechend ehrfürchtig zuhören. Denn es sind leider die einfachen Fragen zu Angela Merkel, zu denen die abschließenden Antworten fehlen. Es sind ausgerechnet die vermeintlich leichten Fragen, wie zum Beispiel: Wie ist sie eigentlich so, persönlich und privat? Was macht sie, wenn sie wütend ist? Was will sie wirklich, außer an der Macht bleiben? Sagt sie manchmal »Scheiße« oder schwitzt sie, wenn sie nervös ist? Hat sie nun einen inneren Überzeugungs-Kompass, oder hat sie keinen? Kriegt sie manchmal richtiggehend Angst oder knibbelt sie sogar an den Fingern, wenn keiner zuguckt? Und, ganz wichtig, hat sie nun ein »Problem mit Männern« – oder ist das einfach nur die Sorte Quatsch, den Männer gern erzählen, wenn sie gegenüber einer Frau nicht mehr weiterwissen?
Wo muss man nach den Antworten suchen? So spannend Angela Merkels Kindheit, Jugend, Studium und erste Berufstätigkeit in der untergegangenen DDR sind: Für die Antworten, die fehlen, spielen sie meiner Einschätzung nach nur eine beisteuernde Rolle. Diese Jahre sind, gemessen am Rest, nicht mehr als der Vorlauf. Das gilt besonders für ein so schnell lernendes »System« wie Angela Merkel. Was sie ins Kanzleramt brachte, hat sie nach der Wende gelernt, im westdeutsch geprägten Politik-Betrieb. Kanzlerin selbst hat sie vor allem im Kanzleramt gelernt, wo auch sonst? Guido Westerwelle brachte es im kleinen Kreis schon am Ende ihrer ersten Amtszeit so auf den Punkt: »Sie fühlt kein Leben vor der Kanzlerschaft mehr. Das kam bei Helmut Kohl erst nach 12 Jahren.«
Wer wissen will, wer uns da seit bald acht Jahren regiert – der muss nach den Antworten also in diesen Jahren suchen. Das soll mein Buch leisten. Es ist keine Nacherzählung dieser Zeit, wiewohl lange Strecken davon höchst spannend waren. Es ist stattdessen der Versuch, an relevanten Stellen genauer hinzuschauen, als in einer breit angelegten Biographie möglich. Gute Biographien, allen voran die von Evelyn Roll, gibt es einige, auf jeden Fall zu viele, um noch eine hinzuzufügen. Ebenso gibt es meinungsstarke, mitunter fulminante Abrechnungen wie die von Cora Stephan aus dem Jahr 2011 oder die von Getrud Höhler (2012). Und sogar ein Interview-Buch liegt vor: neun Stunden Gespräche, aufgeschrieben von Hugo Müller-Vogg, aus dem Jahr 2003. Aber noch einmal: Dieses Buch geht anders vor und fokussiert allein auf die bald acht Jahre Angela Merkels im Kanzleramt. Man ist schließlich nicht lange Zeit im Voraus schon Kanzlerin und fängt nach einer gewonnen Wahl dann
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