Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
reden. Nicht umsonst ist die Eintrittskarte in diesen Kreis größte Verschwiegenheit. Als sicher kann allerdings gelten, dass sie anders als andere Politiker nicht mit harten Gegenständen wirft. Selbst wenn sie sich so richtig ärgert.
Lange Rede, kurzer Sinn: Angela Merkel, so wie ich sie kenne, ist eine sehr umgängliche Person, sympathisch und normal. Gleichwohl ist ein sympathischer Mensch nicht automatisch zugleich ein politischer Sympathieträger. Ausweichlich aller Umfragen ist Angela Merkel aber gerade auch das. Es dürfte ihr größter politischer Trumpf sein – und sie weiß es genau.
Was denkt sie über die Deutschen?
Was Angela Merkel über die Deutschen denkt, ist ein gut gehütetes Geheimnis. Das liegt nicht zuletzt an einer der größten Widersinnigkeiten der repräsentativen Demokratie überhaupt: Politiker dürfen nicht mit den Wählern öffentlich hadern, auch mit deren offenkundigsten Defiziten und Fehlleistungen nicht. Sie dürfen noch nicht einmal tiefbraun verbohrten NPD -Wählern sagen, dass sie verbohrt sind, sondern müssen stattdessen »Verständnis« für die sozialen Nöte heucheln, die zu diesem bedauerlichen Wahlverhalten geführt haben könnten. Selbst wenn alle Deutschen nachweislich faul und blöd wären, ein diäten-finanzierter Politiker dürfte es erst als Letzter sagen. Denn die Wähler sind der Souverän – und der Souverän hat immer Recht. Politikverdrossenheit der Bürger ist erlaubt und in vielen Kreisen, oben wie unten, sogar schick. Bürgerverdrossenheit der Politiker dagegen, also so etwas wie das ehrliche Echo, war und bleibt ein Tabu. Außer man heißt Helmut Schmidt, ist über 90 Jahre alt und die irgendwie letzte Instanz der Republik. Dann darf man im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Zigaretten rauchen und ab und zu sogar die Wähler beschimpfen. Sonst nicht.
Was Angela Merkel über »die Menschen draußen im Land« denkt, davon ist deshalb nur der offizielle Teil bekannt. Er steht im CDU -Parteiprogramm oder ist bei Wahlkampfveranstaltungen zu hören. Demnach macht die Kanzlerin Politik für den Typ Mensch, der »aus Hartz IV herauswill«, wenn er einmal drinsteckt. Der sich etwas zutraut und seine Freiheit zu etwas Eigenem, Sinnvollem gebrauchen will. Der, anders als in der DDR ihrer Jugend, neugierig an seine Grenzen und darüber hinausgehen darf – und gehen will. In Angela Merkels (Wunsch)Bild von den Deutschen fahren die Menschen morgens zur Arbeit, zahlen Steuern, erziehen ihre Kinder. Warum auch nicht? Immerhin ist es der Kanzlerin anzurechnen, dass sie dieses offizielle Bild vom Bürger nicht mit allzu viel Schmalz und Tremolo verbreitet. Es wäre wie bei allen anderen Spitzenpolitikern auch – eine Farce.
Denn was Angela Merkel wirklich von den Deutschen denkt, ist etwas ganz anderes. Und an diesem anderen Bild, nicht am Parteitags-Geschwurbel, richtet sie ihre tägliche Politik aus: Wofür lassen sich diese Menschen im Land begeistern? Was schreckt sie ab und was kann eine Regierung ihnen zumuten? Warum sagen sie auf ein und dieselbe Frage mal ja und dann wieder nein? Wann verlieren sie das Vertrauen und wie viel lassen sie sich überhaupt noch erklären? Wer diese Fragen nicht immer wieder neu stellt, wird nicht lange regierungsfähige Mehrheiten haben. Angela Merkel hat solche Mehrheiten seit fast acht Jahren. Wahrscheinlich auch, weil sie so viel über ihre Kundschaft nachdenkt, über »die Leute«, wie sie sagt.
Machen wir uns nichts vor: Angela Merkel hat ein distanziert nüchternes, vielfach ernüchtertes Bild von den Deutschen. Sie hält die große Mehrheit von ihnen für politisch desinteressiert, wenn nicht ahnungslos; für reformfeige, undankbar und unterschwellig immer noch verführbar. Zugleich hat sich Angela Merkel ihre Neugier bewahrt, betrachtet die Deutschen manchmal so staunend wie einen Laborversuch mit unerklärlichem Ergebnis. Sie nimmt den Wandel der Gesellschaft wahr und lässt ihn gelten. Jedenfalls zieht sie ihre praktischen Schlüsse für den Regierungs-Alltag daraus, ihr »Erwartungs-Management« zum Beispiel. Unter dem Strich liegt sie mit all dem so falsch nicht.
Aber der Reihe nach.
Angela Merkel ist stolz darauf, Politikerin zu sein. »Berufspolitiker« ist kein Schimpfwort für sie. Sie liebt ihre Arbeit und hält, was sie tut, für ein schwieriges Geschäft, das beileibe nicht jedermann beherrsche. Ganz ohne Dünkel sieht sie sich selbst als Profi – dem man bitte, wenn überhaupt, mit professionellen
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