Angela Merkel
Punkt ist die Haltung, die man zeigt. Angela Merkel hat die DDR nicht offen abgelehnt, sie hat sie aber auch nicht gefeiert. Sie hat sich neutral verhalten, war undeutlich, unkenntlich. Es war ein Leben in der Schwebe, keine Festlegungen, keine Klarheit. Auch dieses Verhalten aus einer Diktatur passt sehr gut zum politischen System der Bundesrepublik. Eine Festlegung ist immer eine Schwächung. Der Rahmen der Politik ändert sich sehr schnell. Jede Umfrage, jedes Wahlergebnis, jede Änderung der wirtschaftlichen Daten, jeder Satz eines Politikers, jede Koalitionskrise kann die Welt in kürzesterZeit ganz anders aussehen lassen. Wer sich festgelegt hat, sieht dann womöglich schlecht aus. Die Steuererhöhung, die gestern gefordert wurde, kann heute als Unsinn gebrandmarkt werden, weil die Konjunkturprognose schlechter ausgefallen ist als erwartet. Das heißt, man fordert besser keine, jedenfalls nicht laut und öffentlich. Nichts halten sich Politiker gegenseitig lieber vor als Sätze von gestern, die heute wie eine Dummheit wirken. Aus Furcht vor solchen Nachweisen der Dummheit, der falschen Absichten, Strategien, Haltungen halten sich Politiker gerne in der Schwebe. Sie sagen Sätze, die immer gelten, egal wie die Umfragen oder die Konjunkturprognosen ausfallen. Wer undeutlich ist, kann nicht falsch liegen. Und auch an Undeutlichkeit lässt sich Angela Merkel von niemandem übertreffen. Ihr größtes Problem ist, dass sie sich einmal, ein einziges Mal grundsätzlich festgelegt hat, wie später noch zu sehen sein wird.
So war also das Kind der Diktatur ganz gut gerüstet für die Mediendemokratie. Zudem hatte sie den Vorteil, keine großen Loyalitäten entwickelt zu haben. Zwar verdankt sie Helmut Kohl ihre politische Karriere, aber er war nicht der Übervater für sie wie für die meisten Mitglieder des Andenpakts. Die hatten ihn ein Leben lang bewundert, er war unantastbar für sie. Da hatte Merkel ein anderes Selbstbewusstsein. Sie hatte ein Leben vor Kohl gehabt, ein ganz anderes Leben, und dieses Leben hatte ihr gezeigt, dass man ein Regime, das schwach ist, stürzen kann. Deshalb war sie in der Lage, Kohl zu erledigen, als er wegen der Spendenaffäre schwach war. Sie schrieb denberühmten Aufsatz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung , in dem sie auf Distanz zu Kohl ging. Damit hatte sie sich als stärkster Politiker der Generation nach Kohl in der Union gezeigt. Das war ihr Sprungbrett zur Macht, der Griff nach Parteivorsitz und Kanzlerschaft. Die anderen waren abgehängt.
Es gibt einen weiteren Grund, warum Merkel der ideale Typus für Politik total ist, der auch mit ihrer Vergangenheit zu tun hat. Merkels jäher Sprung an die Spitze der CDU hat die Konkurrenten aus dem Andenpakt erbittert. Sie wollten diese Scharte auswetzen und haben bald nach Merkels Wahl zur Parteivorsitzenden damit begonnen, sie zu bekämpfen. Es wurde ein gnadenloser Machtkampf, bei dem die Andenpaktler auch ihre Biographien verteidigten. Es konnte doch nicht sein, dass sich die Ochsentour nicht gelohnt haben soll, das jahrzehntelange Sitzen in Parteiveranstaltungen, die Demütigungen durch Helmut Kohl. Sie schlugen zurück, mit beinahe allen Mitteln.
Sie haben ihr, manchmal halb heimlich in Hintergrundgesprächen, manchmal offen, ihre Vergangenheit in der DDR vorgeworfen. Man konnte bald hören, dass Merkel die soziale Marktwirtschaft nicht verstehe, dass Merkel die Union nicht verstehe und dass Merkel die ganze Bundesrepublik nicht verstehe, weil sie in der DDR aufgewachsen war. Das heißt, sie durfte nicht ankommen in der Bundesrepublik, man hat sie zum ewigen Ossi gestempelt, um sie von der Kanzlerkandidatur fernzuhalten. Merkel war damit heimatlos. Die DDR waruntergegangen, die Qualifikation zur echten Bundesbürgerin wurde ihr abgesprochen.
Dabei hat sie Bundesbürgerin gelernt, in einem Schnellkurs. Sie hat eine Unzahl von Geschichtsbüchern gelesen, sie hat Ludwig Erhardt gelesen, Konrad Adenauer, sie zitierte dauernd aus deren Reden, deren Werken, aber es reichte nicht, am Ende blieb immer der Vorwurf: Du warst nicht dabei. Sie war nicht dabei, als um die Ostpolitik gerungen wurde. Sie war nicht dabei, als die Nachrüstung durchgesetzt wurde. Sie konnte nichts tun gegen diesen Vorwurf, sie konnte ihr Leben nicht noch einmal anders leben.
Eine Heimatlose ist auch eine Schutzlose, eine Ausgelieferte. Entsprechend vehement fiel man über sie her. Die Kritik war maßlos, verletzend, ihre ganze Person stand in Frage. Sie hatte
Weitere Kostenlose Bücher