Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Raffe muss ja nicht wissen, dass ich eigentlich auf den anderen gezielt habe.
Wie wild schwingt er sein Schwert und schlitzt einem anderen Dämon die Brust auf. »Ich habe dir doch gesagt, du sollst weglaufen!«
So viel zum Thema Dankbarkeit. Ich beuge mich vor und greife mir noch mal einen Stein. Er ist rau und so groß, dass ich ihn kaum hochheben kann. Kann sein, dass ich ein bisschen größenwahnsinnig werde, aber ich schmettere ihn trotzdem auf den Dämon. Er landet ein paar Meter außerhalb des Rings auf dem Waldboden.
Diesmal suche ich mir einen kleineren, aerodynamischeren Stein. Ich achte darauf, außerhalb des Rings zu bleiben, und die kleinen Dämonen lassen mich in Ruhe. Ich schätze, meine Steinwürfe erscheinen gar nicht auf ihrem Radar. Ich ziele auf einen der Schatten und werfe dann mit aller Kraft.
Der Stein trifft Raffe am Rücken.
Er muss seine Wunden getroffen haben, denn Raffe stolpert nach vorne, taumelt ein paar Schritte und bleibt dann vor zwei Dämonen stehen. Er hält das Schwert kraftlos gesenkt, sodass er beinahe darüber fällt und aus dem Gleichgewicht gerät, als er sich ihnen entgegenstellt. Ich schlucke mein Herz hinunter und drücke es aus der Kehle zurück in die Brust.
Es gelingt Raffe, sein Schwert anzuheben. Doch er hat keine Zeit mehr, die Dämonen davon abzuhalten, ihn zu beißen.
Als er aufschreit, zieht sich mein Magen in solidarischem Schmerz zusammen.
Dann passiert etwas Seltsames. Das heißt: noch seltsamer als alles, was schon passiert ist. Die kleinen Dämonen spucken und stoßen Laute deutlichen Ekels aus. Sie spucken, als würden sie versuchen, einen schlechten Geschmack aus ihren Mündern zu bekommen. Ich wünschte, ich könnte ihre Gesichter sehen. Bestimmt ziehen sie angewiderte Fratzen.
Raffe schreit erneut auf, als ihn ein dritter Dämon in den Rücken beißt. Nach ein paar Versuchen gelingt es ihm, ihn von sich wegzuschleudern. Auch dieser Dämon macht jetzt Würgegeräusche und spuckt lautstark aus.
Dann ziehen sich die Schatten zurück und verschmelzen mit der Finsternis des Waldes.
Bevor ich so richtig begreife, was da gerade geschehen ist, macht Raffe etwas, das mindestens genauso seltsam ist: Statt wie jeder normale Überlebende seinen Sieg zu erklären und einfach zu gehen, jagt er ihnen in die dunklen Wälder nach.
»Raffe!«
Alles, was ich höre, sind die Todesschreie der kleinen Dämonen. Sie klingen so gespenstisch menschlich, dass Gänsehaut meine Wirbelsäule entlangkribbelt.
Dann verhallen die letzten Schreie so plötzlich, wie sie eingesetzt haben.
Mich fröstelt allein im Dunkeln. Ich mache ein paar Schritte in Richtung der schwarzen Wälder, in die Raffe verschwunden ist, und bleibe stehen. Was soll ich jetzt tun?
Wind kommt auf und kühlt den Schweiß auf meiner Haut. Doch nach einer Weile ebbt auch er ab, und es wird totenstill. Ich bin mir nicht sicher, ob ich lossprinten und Raffe suchen oder einfach weglaufen soll, weg von dem Ganzen hier. Mir fällt ein, dass ich ja eigentlich schon auf dem Weg zu Paige sein sollte und dass es ein guter Plan ist, am Leben zu bleiben, bis ich sie retten kann. Allmählich zittere ich mehr, als die Kälte es verlangt. Das müssen die Nachwirkungen der Schlacht sein.
Ich spitze die Ohren, um etwas zu hören, irgendwas. Mir wäre alles recht, sogar ein schmerzvolles Ächzen von Raffe. Wenigstens wüsste ich dann, dass er am Leben ist.
Der Wind fährt durch die Blätter und streicht mein Haar zurück.
Als ich gerade aufgeben und ins Dunkel der Bäume hineinlaufen will, um nach ihm zu suchen, wird das Geräusch raschelnder Blätter lauter. Das könnte ein Reh sein. Ich trete einen Schritt zurück, weg von dem Geräusch. Es könnten auch die kleinen Dämonen sein, die zurückkommen, um ihr Werk zu vollenden.
Das Gewirr der Äste raschelt, als es geteilt wird. Ein Raffe-förmiger Schatten betritt die Lichtung.
Unendliche Erleichterung durchströmt mich und lockert meine Muskeln, deren Anspannung ich gar nicht bemerkt habe.
Ich stürme ihm entgegen und breite die Arme zu einer riesigen Umarmung aus, doch er tritt einen Schritt zurück. Also ehrlich, auch ein Mann wie er – das heißt, ein Nicht-Mann wie er – kann doch sicher in einer Umarmung Trost finden, nachdem er gerade um sein Leben gekämpft hat. Aber anscheinend nicht in meiner Umarmung.
Ich bleibe direkt vor ihm stehen, und meine Arme fallen unbeholfen herab. Aber meine Freude, ihn zu sehen, ist noch nicht ganz erloschen.
»Also …
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