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Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Ee
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ihnen her. Blind sprinte ich durch das Blut, das inzwischen schon knöchelhoch steht und immer weiter ansteigt.
    Doch egal wie schnell ich renne, ich komme nicht näher an sie heran. Die Monster schleifen meine Schwester in die aufkommende Dunkelheit.

24
    Als ich die Augen öffne, fällt gesprenkeltes Sonnenlicht zum Fenster herein. Ich bin alleine in einem Raum mit hoher Decke und Bogenfenstern, der einst ein wunderschönes Schlafzimmer war. Mein erster Gedanke: Raffe hat mich wieder verlassen. Panik flattert in meinem Bauch. Aber es ist heller Tag, und tagsüber komme ich doch klar, oder nicht? Und wenn man Raffe glauben darf, weiß ich jetzt wenigstens, dass ich nach San Francisco muss. Ich gebe dem Ganzen eine Fünfzig-fünfzig-Chance.
    Ich trotte aus dem Zimmer, den Gang hinunter und ins Wohnzimmer. Mit jedem Schritt verblassen die Überbleibsel meines Albtraums, er bleibt im Dunkeln zurück, wo er hingehört.
    Raffe sitzt am Boden und packt meinen Rucksack um. Die Morgensonne streichelt sein Haar und hebt vereinzelte mahagoni- und honigfarbene Strähnen hervor, die sich in dem Schwarz versteckt hatten. Bei seinem Anblick löst sich alle Anspannung aus meinen Schultermuskeln. Er sieht zu mir auf. In dem weichen Licht sind seine Augen blauer denn je.
    Ohne ein Wort zu sagen, blicken wir einander an. Ich frage mich, was er sieht, wenn ich hier so stehe, in einem Strom aus goldenem Licht, das durch die Fenster hereinfällt.
    Ich blicke zur Seite. Meine Augen suchen den Raum nach etwas ab, das ich stattdessen ansehen kann, und bleiben an einer Reihe Fotos auf dem Kaminsims hängen. Ich schlendere hinüber, um irgendetwas zu tun und nicht einfach nur unbeholfen herumzustehen, während er mich betrachtet.
    Da ist ein Familienfoto, auf dem alle zu sehen sind, Mom, Dad und drei Kinder. Dicht beieinander und mit glücklichen Gesichtern stehen sie auf einer Skipiste. Ein anderes Foto zeigt den älteren Jungen in einem Footballtrikot, wie er auf einem Sportplatz seinen Dad abklatscht. Ich greife nach einem Bild, auf dem das Mädchen in einem Ballkleid zu sehen ist und in die Kamera lächelt, neben ihr ein hübscher Junge im Smoking. Das letzte Foto ist eine Nahaufnahme von einem kleinen Jungen, der mit dem Kopf nach unten an einem Ast hängt. Sein Haar steht ihm stachelig vom Kopf ab, und sein schelmisches Lächeln entblößt zwei Zahnlücken.
    Die perfekte Familie in einem perfekten Haus. Ich sehe mich um an diesem Ort, der einst ein perfektes Zuhause gewesen sein muss. Ein Fenster ist zerbrochen, davor prangt ein großer, halbkreisförmiger Regenfleck auf dem Hartholzboden. Wir sind nicht die ersten Besucher hier, wie das in einer Ecke herumliegende Bonbonpapier beweist.
    Meine Augen wandern zu Raffe zurück. Noch immer sieht er mich unergründlich an.
    Ich stelle das Foto wieder an seinen Platz. »Wie spät ist es?«
    »Vormittag.« Er geht wieder dazu über, in meinem Rucksack herumzukramen.
    »Was machst du da?«
    »Ich entsorge, was wir nicht mehr brauchen. Obadiah hatte recht, wir hätten besser packen sollen.« Er wirft einen Topf auf den Holzboden. Er prallt ein paarmal vom Boden ab, bevor er liegen bleibt.
    »Dieses Haus ist bis auf das kleinste Fitzelchen komplett leergefressen«, sagt er. »Aber es gibt noch fließend Wasser.« Er hebt zwei gefüllte Wasserflaschen hoch. Er hat einen kleinen grünen Rucksack für sich aufgetrieben, in dem er nun eine der Flaschen verstaut. Die andere packt er in meinen.
    »Willst du Frühstück?« Er schüttelt die Tüte mit dem Katzenfutter, die ich in meinem Rucksack herumgetragen habe.
    Auf dem Weg zum Badezimmer nehme ich mir eine Handvoll Trockenfutter. Ich könnte sterben für eine Dusche, doch in dem Akt, sich jetzt und hier auszuziehen und einzuseifen, liegt etwas zu Verwundbares, also begnüge ich mich mit einer unbefriedigenden Katzenwäsche und trockne mich um meine Kleidung herum ab. Wenigstens schaffe ich es, mir das Gesicht zu waschen und die Zähne zu putzen. Ich binde meine Haare zu einem Pferdeschwanz und setze eine dunkle Mütze auf.
    Ein weiterer langer Tag liegt vor uns, und diesmal sind wir draußen in der Sonne unterwegs. Meine Füße sind wund und müde, und ich wünschte, ich hätte ohne meine Stiefel schlafen können. Aber natürlich weiß ich, warum Raffe sich nicht die Mühe gemacht hat, sie mir auszuziehen, und ich bin ihm dankbar dafür. Ohne meine Stiefel wäre ich nicht weit gekommen, wenn ich plötzlich in die Wälder hätte fliehen

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