Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Brust und flüstert mir zu, wegzulaufen. Lauf, lauf, lauf.
Ich kann nicht glauben, dass er mich verlassen hat. Dass er mich im Dunkeln allein gelassen hat, mit einem dämonischen Monster.
Wütend balle ich die Hände zu Fäusten. Meine Nägel graben sich tief in meine Haut und helfen mir, mich zu konzentrieren. Ich habe keine Zeit, mich selbst zu bemitleiden. Wenn ich lange genug überleben will, um Paige zu retten, muss ich mich konzentrieren.
Der sicherste Ort, um die Nacht zu verbringen, ist das Camp. Doch wenn ich ins Camp zurückkehre, werden sie mich nicht eher gehen lassen, bis sie bereit sind, weiterzuziehen. Das könnte Tage dauern, oder gar Wochen. Paige hat keine Wochen mehr. Was auch immer sie ihr antun, sie tun es jetzt. Ich habe schon zu viel Zeit verloren.
Auf der anderen Seite: Was habe ich für Alternativen? Durch den Wald laufen? In der Dunkelheit? Allein? Obwohl hier ein Monster lauert, das ein halbes Dutzend bewaffneter Männer in Stücke gerissen hat?
Panisch zerbreche ich mir den Kopf nach einer dritten Möglichkeit. Doch mir fällt nichts ein.
Ich habe lange genug gezögert. Von einem Monster aufgespürt zu werden, während ich hier unentschlossen und wie festgenagelt herumstehe, ist die blödeste Art zu sterben, die ich mir nur vorstellen kann. Baum oder Borke?
Ich wappne mich so weit, dass ich das unheimliche Gefühl ignorieren kann, das mir den Rücken hinaufkriecht. Dann hole ich tief Luft und atme langsam wieder aus, in der Hoffnung, mich zu beruhigen. Aber es funktioniert nicht.
Abrupt wende ich mich um und tauche in den Wald ein.
22
Ich kann nicht anders, als immer wieder nachzusehen, ob sich irgendetwas Beunruhigendes von hinten an mich heranschleicht. Wobei sich ein Monster, das in der Lage ist, bewaffnete Soldaten in Stücke zu reißen, wohl kaum die Mühe machen würde, zu schleichen. Ich frage mich, warum wir im Laufe der Evolution keine Augen an unseren Hinterköpfen ausgebildet haben.
Je weiter ich in den Wald vordringe, umso dichter schließt sich die Dunkelheit um mich. Nein, das hier ist kein Selbst mord, sage ich mir. Die Wälder sind voller quicklebendiger Kreaturen, Eichhörnchen, Vögel, Rehe, Hasen, die das Mons ter nicht alle töten kann. Also stehen meine Chancen doch ganz gut, heute Nacht zur Mehrheit der überlebenden Waldwesen zu gehören. Oder?
Mein Instinkt führt mich durch die Dunkelheit, und ich hoffe sehr, ich laufe nach Norden. Doch in kürzester Zeit kommen mir ernste Zweifel bezüglich der Richtung. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass Menschen, die sich verirrt haben und auf sich selbst angewiesen sind, dazu neigen, in großen Kreisen zu laufen. Was, wenn ich in die falsche Richtung gehe?
Die nagenden Zweifel bringen mich um den Verstand, und ich spüre Panik in meiner Brust brodeln.
Im Geiste ohrfeige ich mich. Das hier ist nicht der richtige Zeitpunkt, um durchzudrehen. Ich verspreche mir, dass ich gerne die Krise kriegen kann, sobald ich in Sicherheit bin. In einem hübschen Haus mit einer gut bestückten Küche, zusammen mit Paige und Mom.
Ja, klar. Bei dem Gedanken zucken meine Lippen, als würde ich gleich grinsen. Vielleicht werde ich wirklich langsam verrückt.
Hinter jedem Rascheln, hinter jedem zitternden Schatten, hinter jedem Vogel, der zum Flug ansetzt, hinter jedem Eichhörnchen, das einen Ast entlanghuscht – hinter allem vermute ich eine Bedrohung.
Nachdem ich eine Weile, die mir wie mehrere Stunden vorkommt, stramm durch die Finsternis marschiert bin, bewegt sich ein Schatten neben einem Baumstamm, eine Bewegung wie von einem windgepeitschten Ast. Nur, dass sich dieser immer weiter von dem Baum entfernt. Er löst sich aus den längeren Schatten und verschmilzt mit einer anderen, noch größeren Finsternis.
Wie angewurzelt bleibe ich stehen.
Es könnte ein Reh gewesen sein. Doch so haben sich die Beine des Schattens nicht bewegt. Vielleicht war es irgendwas auf zwei Beinen. Oder genauer gesagt, mehrere Geschöpfe auf zwei Beinen. Als die Schatten ausschwärmen und mich einkreisen, sehe ich meine Vermutung bestätigt. Ich hasse es, andauernd recht zu haben.
Also, was hat zwei Beine, ist ungefähr einen Meter oder einen Meter zwanzig groß und knurrt wie ein Hunderudel? Es ist schwer, jetzt nicht an die über den Waldboden verstreuten Leichen mit den fehlenden Körperteilen zu denken.
Ein Schatten rast derart schnell an mir vorbei, dass er wie ein verschwommener dunkler Fleck aussieht. Etwas stößt gegen meinen Arm. Ich
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